2021 erschien in einer überregionalen und auflagenstarken Tageszeitung ein Artikel, der mit krassen Verdächtigungen nicht geizte. Es galt, eine neue „RAF“ zu enttarnen. Eine auf Schuldzuweisungen beschränkte Interpretation der brandheißen Informationen aus „Sicherheitskreisen“ wurden darin komplett unreflektiert übernommen. In Frage gestellt wurde davon nichts. Gab es zu konkreten Schuldvermutungen nichts weiter als eine aus den Fingern gelutschte Behauptung kam der Konjunktiv zum Einsatz. Dazwischen krasse Verdächtigungen, Behauptungen und Urteilssprüche, die keinen Zweifel an einer sicheren Verurteilung wegen schwerer Straftaten in naher Zukunft äußerten. Irgendwann am Ende des Textes stand dann noch mal, dass auch hier die Unschuldsvermutung gelten müsse. Nur im Text fand davon nichts statt. Das Prinzip der Unschuldsvermutung ist aber nicht nur Phrase zur eigenen Entlastung nach einer Salve der Schuldvermutungen und Vorverurteilungen, sondern die höhere Gewichtung der einer Schuld widersprechenden Argumente und deren Abbildung als Teil der Überlegungen.
Dieser Text enthielt zwar nicht den Namen der Beschuldigten (den lieferten später erst dezidiert rechte Kanäle nach), aber genug Detailinformationen, um feststellen zu können, um wen es sich handelt. Der Arbeitgeber der Beschuldigten reagierte auch prompt und entließ die Vorverurteilte. Als Begründung in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht wurde dieser Artikel aus der Tageszeitung angeführt. Die Verdachtskündigung hatte am Ende zwar keinen Erfolg, aber der psychologische Schaden war trotzdem immens: Rechtsunsicherheit, erzwungene Änderungen im Lebensplan, eine verwirrte Umgebung, eine traumatisierte Beschuldigte und enorme Anwaltskosten bei Einkommensverlust. Es blieb ein tiefes Misstrauen in Medien und Gesellschaft bei allen Betroffenen.
Bis heute, das heißt: Über 2 Jahre später, ist noch keine Anklage erhoben und es wird mit jedem Tag unsicherer, ob es noch dazu kommt und was dann tatsächlich der Beschuldigten vorgeworfen werden soll. Aber die bitterste Erkenntnis daraus ist, dass es manchmal nicht mal ein Gerichtsverfahren oder ein Urteil braucht, um bei politisch Aktiven viel Schaden anzurichten. Es braucht nur Leaks aus Ermittlungsakten an bereitwillige Journos und eine Zeitung, die so was druckt. Und natürlich Arbeitgeber, die auch bereit sind, rechtsunwirksame Kündigungen auszusprechen. Während die Folgen für die Beschuldigten richtig krass sein können, müssen jene, die diese Konsequenzen durch eine skandalwilde Berichterstattung verursacht haben, dafür nie Verantwortung übernehmen. Auch ihre Instrumentalisierung als Ersatzgericht durch Ermittlungsbehörden verkauft Auflage.
Wenn die SOKO LINX aber richtig viel Ressourcen aufwendet, um in einzelnen Verfahren doch noch die gewünschten Ermittlungserfolge zu erzielen und brachial damit scheitert, sollte sich – finde ich – die Presse dafür interessieren. Weil es um Menschen geht, die zum Spielball politischer Interessen werden. Kritik an überzogenem Verfolgungseifer, der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Ermittlungsbehörden zur Maximierung des Schadens und an der Funktion der Presse bei allem, wäre derzeit überaus notwendige Kritik an Repression und ausführenden Behörden, das wäre kritische Berichterstattung. Das wäre Aktivismus. Und dieser Aktivismus fehlt.
Damit appelliere ich nicht an solche Medien, die sich zuvor begeistert auf Leaks aus „Ermittlerkreisen“ gestürzt haben, um bei mageren Ermittlungsergebnissen durch einseitige Interpretation doch noch den erhofften Schaden zu verursachen. Die lernen nichts aus ihren Fehlern, die verkaufen auch mit Fehlern Auflage. Ich meine die Anderen: Politisch versierte, linke, mutige Parteinahme für Beschuldigte auch bei krassem Verdacht. Antifaschismus ist kein Verbrechen. Und das Handwerk der SOKO LINX ist es nun mal, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.