Uniklinikum Magdeburg – „Maskendeal“ vs. „Datenskandal“

Was ist ein Deal, was ein Skandal? Wie in dieser Frage mit zweierlei Maß gemessen wird,zeigt das Beispiel zweier Vorfälle an der Magdeburger Uniklinik.

Am Universitätsklinikum in Magdeburg kam es in den letzten zwei Jahren zu mindestens zwei polizeilichen Maßnahmen mit öffentlichem Widerhall: Zwei Hausdurchsuchungen in den Räumen der Uniklinik, von denen wir aus der Presse erfahren haben. Einmal wurden in der Finanzabteilung im Mai 2020 Räumlichkeiten und Rechner durchsucht und Daten beschlagnahmt. Die Volksstimme titelte später in vielen Artikeln: „Datenskandal“ am Universitätsklinikum. Federführend bei dieser polizeilichen Maßnahme war die „Soko Linx“ des LKA Sachsen. Einer Mitarbeiterin des Klinikums wird vorgeworfen, Daten an linke Strukturen weiter gegeben zu haben. Es bestand dabei lediglich ein Anfangsverdacht, die Durchsuchung diente der Beweissicherung (Megafon berichtete).

Im September 2021 waren es die Räumlichkeiten und Rechner des Ärztlichen Direktorats, des Kaufmännischen Direktorats und des Einkaufs, die vom LKA Sachsen-Anhalt durchsucht wurden. Ein Mitbewerber hatte das Klinikum wegen des Verdachts auf Korruption und Betruges angezeigt. Die Klinik steht im Verdacht, bei einem Großeinkauf von FFP2-Masken eine Firma bevorzugt zu haben, deren Miteigentümer der der Sohn des Ärztlichen Direktors ist. Die Volksstimme fasst die Berichterstattung unter dem Begriff „Maskendeal“ zusammen. Es ging dabei lediglich um einen Anfangsverdacht, die polizeilichen Maßnahmen dienten der Beweissicherung.

Zu beiden Vorgängen hat die Uniklinik mittlerweile jeweils zwei Stellungnahmen herausgegeben, über die die Magdeburger Volksstimme ausführlich berichtete. Bei Betrachtung der jeweiligen Statements und Artikel fällt auf, was mit dem Begriff „Klassenjustiz“ beschrieben werden kann.

Der „Datenskandal“

Ein Skandal ist ein Geschehnis, das Anstoß und Aufsehen erregt. Der Begriff „Skandal“ liefert die moralische Wertung gleich mit. Ein Skandal ist etwas, worüber die Allgemeinheit sich entrüsten wird und dies auch sollte. Ein Skandal verstößt gegen die guten Sitten und ruft Empörung hervor.

Am 5. Oktober 2021 berichtete die Magdeburger Volksstimme zuerst über den „Datenskandal im Universitätsklinikum“. In einer reißerischen Überschrift wird auf die Ermittlungen des Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums des Landeskriminalamtes Sachsen, auch „Soko Linx“ genannt, wegen gefährlicher Körperverletzung Bezug genomen: Im November 2019 wurde eine Immobilienmaklerin in Leipzig in ihrer Wohnung überfallen. Untersucht werde dabei auch, wie die Unbekannten an die Privatadresse der Frau kommen konnten. Daraufhin sei man auf eine Abfrage der Einwohnermeldedaten aus der Magdeburger Uniklinik gestoßen. Nach Volksstimme-Recherchen stehe nun fest: Die Spur führt nach Magdeburg. Ins Uniklinikum. Bereits im Mai 2020 wurde das Büro der Angestellten durchsucht und es wurden Datenträger beschlagnahmt.

Teilnehmer einer Demonstration tragen ein Transparent „@Polizei Sachsen – wann durchsucht Ihr Euch selbst“

Die Mitarbeiterin wurde daraufhin freigestellt und Ende Mai fristlos entlassen. Sie klagte vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung, im Juli 2021 wurde die Kündigung aufgehoben. Das Uniklinikum konnte die Verdachtskündigung nicht begründen.


Als Zeugen des vermeintlichen Datenmissbrauchs dienen der Volksstimme die Behauptungen von Oliver Kirchner und Ronny Kumpf. Die beiden AfDler hätten bereits im August 2021 ein Schreiben des LKA Sachsen-Anhalt erhalten, in dem sie faktisch aufgefordert werden, die Beschuldigte anzuzeigen. Vergehen gegen den Datenschutz sind Antragsdelikte. Grundsätzlich schalten sich bei solchen Vergehen die Strafverfolgungsbehörden nur auf Antrag eines Geschädigten ein.

Auch eine Stellungnahme der Uniklinik wird wortgetreu zitiert:
„Nach unseren vorläufigen Erkenntnissen hat eine einzelne Person gezielt und mit krimineller Energie den Zugang zum Einwohnermeldeamt missbräuchlich genutzt.“ Es wird im Artikel keine Zeit und keine Zeile für entlastende Überlegungen verschwendet. Kumpf und Kirchner werden zu Kronzeugen der Anklage, das Uniklinikum bestätigt den Verdacht und das Urteil spricht die Redaktion der Magdeburger Volksstimme. Am Ende des Artikels wird aus völlig unerklärlichen Gründen noch ein Zusammenhang zu einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“ angedeutet, laut dem auch 53 Politiker der AfD im Internet Todesdrohungen erhalten hätten.


Der „Maskendeal“

Ein „Deal“ ist eine zweifelhafte Abmachung oder Vereinbarung. Ein Deal ist kein zwingend negativ besetzter Begriff. Wenn jemand einen „Deal“ macht, dann macht er im Alltagsgebrauch ein gutes Geschäft. Ein Deal ist das günstige Ergebnis besonders cleverer Verhandlungen.

Der Umstand, dass in diesem Fall mit FFP2-Masken zum Schutz der Angestellten gehandelt wurde, wird erwähnt und wirkt sich moralisch günstig auf die ohnehin wohlwollende Darstellung als Deal aus. Allerdings: Diese Vorwürfe sind ein handfester Skandal, mit dem sich die Familie des Ärztlichen Direktors auf Kosten der Klinik bereichert haben könnte. Das wäre ein absolutes Unding, wenn Profite aus öffentlichen Aufträgen zu Lasten der PatientInnen, Angestellten und des Landeshaushaltes in die eigenen Taschen oder die des Sohnes gewirtschaftet werden. Darum ermittelt auch das LKA Sachsen-Anhalt. Es geht um Straftaten gemäß Strafgesetzbuch.

Eine Stellungnahme der Klinik zur Durchsuchung am 8. September 2021 erschien am 10. September auf der Webseite des Uniklinikums. Darin wird das Uniklinikum als „Wir“ gegen jeden Vorwurf verteidigt. Es werden weder Beschuldigte benannt, noch deren Aufgaben oder Funktion näher bezeichnet. Bekannt gegeben wird auch, dass der Landesrechnungshof bereits seit Mai 2021 diese Vorgänge prüft. Zuletzt hätte der Sprecher des Landesrechnungshofs am 8. September allerdings öffentlich mitgeteilt, „dass in seinem Abschlussbericht keine strafrechtlich relevanten Feststellungen enthalten sein werden“. Das Universitätsklinikum sieht damit bestätigt, „dass hier keinerlei strafrechtliche Aspekte vorliegen“. Dem folgt, dass leider keine weiteren Aussagen gemacht werden können, da das Ermittlungsverfahren noch läuft. Immerhin gilt die Unschuldsvermutung und ein Anfangsverdacht, ist und bleibt nur ein Anfangsverdacht. Ob und was sich bestätigen lässt, zeigen erst die weiteren Ermittlungen. Eine Notwendigkeit zu personellen Konsequenzen bestehe nicht.

Zweierlei Maß

Beiden Vorfällen liegen ähnliche Tatsachen zu Grunde, nämlich polizeiliche Ermittlungen einschließlich Durchsuchungen am Arbeitsplatz. Völlig unterschiedlich ist aber das Verhalten der Uniklinik:

Zum Vorwurf der Korruption und Vetternwirtschaft wird die Unschuld der Klinikleitung betont und deren Handeln verteidigt. Und auch durch Ausbleiben von disziplinarischen und arbeitsrechtlichen Konsequenzen wird die Unschuld bestätigt. In Stellungnahmen der Einrichtung wird das Handeln der nicht näher bestimmten Beschuldigten gerechtfertigt und – überaus wohlwollend und beschützend – als völlig legitim verteidigt.

Die Uniklinik weiß sehr wohl, was im Ernstfall polizeilicher Maßnahmen zu tun ist, was angemessen ist und was nicht: jedenfalls wenn es um die Stühle der Chefetage geht. Die Unschuldsvermutung heißt hier, auch tatsächlich die Unschuld zu vermuten. Der hier zur Durchsuchung ausreichende, begründete Verdacht des LKA zum Vorliegen einer Straftat führte bei keinem der Beschuldigten zu einer Verdachtskündigung. Aus gutem Grund, denn nur der Verdacht reicht eben nicht. Und selbst ein Schuldspruch wäre nicht zwingend ein Grund für arbeitsrechtliche Konsequenzen.

Ganz anders ist der Umgang mit der Beschuldigten im Verfahren der Soko Linx. Die Schuld der Frau scheint für Volksstimme, LKA und Uniklinik bereits festgestellt. Da ist kein Platz für Zweifel. Verhandelt werden muss höchstens noch über das Strafmaß. Allerdings ist bis heute kein Strafverfahren eröffnet, keine Anklage erhoben. Seit 17 Monaten nicht.


Es werden Aussagen nach unklaren Kriterien über ihr vermeintlich rechtswidriges Handeln getroffen, ohne dass sich ein Gericht je dazu geäußert hätte. Es werden lediglich Teile der Ermittlungsakten veröffentlicht, von Presse und Arbeitgeber systematisch in ihrem Verfolgungseifer benutzt und zur Belastung interpretiert. Behauptungen unklaren Ursprungs werden von Zeitung zu Zeitung fortgeschrieben und nach Lust und Laune ausgeschmückt. Es werden niemals und an keiner Stelle Entlastungsargumente vorgetragen oder auch nur mitgedacht, sondern krampfhaft Vorverurteilungen konstruiert.

Die Frau wird als Person denunziert und der Presse und Nazis als Zielscheibe angeboten. Sie soll mindestens moralisch geächtet und materiell für bisher nicht festgestellte oder verhandelte Ordnungswidrigkeiten bestraft werden. So hart wie möglich. Dazu werden Aussagen über ihre Persönlichkeit getroffen, die nicht nur überflüssig sondern verletzend sind. Dabei wird so getan, als sei Antifaschismus bereits ein Verbrechen und noch dazu ein verlässlicher Hinweis für strafbewehrtes Handeln. In den Kommentaren zu diesen Artikeln wird der Name der Beschuldigten genannt und Details, die sie identifizierbar machen. Das alles wird niemals revidiert werden können oder einfach so verschwinden.

Skandale verkaufen Zeitungen und Zeitungen verkaufen Skandale. Frauenhass und Hass auf Linke sind Kassenschlager für reaktionäre Hetzblätter. Wenn dann noch Faschisten die Kronzeugen der medialen Anklage gegen Antifaschistinnen werden und deren Schuldzuweisungen blind vertraut wird, wurde das Verfahren bereits eröffnet und ohne jede Verteidigung für die Beschuldigte geführt. Da ist das Urteil bereits gesprochen. Außerhalb eines Gerichts. Wenn dazu lediglich Teile der Ermittlungsakten mitgeteilt und unbegründete Werturteile gefällt werden, reagieren Presse und Öffentlichkeit vorhersehbar verurteilend. Mit Bezug auf „Sicherheitskreise“ oder Einsicht in die „Ermittlungsakten“ gilt die Berichterstattung als sachlich zutreffend und wird dann auch vom größten Teil der Öffentlichkeit nicht mehr in Zweifel gezogen.

Unschuldsvermutung versus Verdachtskündigung


Während die Korruptionsvorwürfe gegen die Klinikleitung sachlich-neutral im „Wir“ abgewehrt werden und auf Unschuldsvermutung und Entlastung verwiesen wird, werden die Vorwürfe gegen die Mitarbeiterin allein ihr, und ihrer „kriminellen Energie“ angelastet. Sie wird durch Nennung von Details identifizierbar gemacht. Es werden weitere schwere Vorwürfe erhoben und entwürdigende Aussagen über ihre Persönlichkeit getroffen. Während die Klinikleitung sich in Rundmails und Stellungnahmen auf der Webseite selbst entlasten darf, wurde die Mitarbeiterin feststellbar rechtsunwirksam entlassen.

Für die höheren Gehaltsklassen gilt die Unschuldsvermutung, für die Angestellten gibt es die Verdachtskündigung. Die zeitliche Nähe der Veröffentlichungen sorgt derweil für die Verlagerung des öffentlichen Interesses weg vom Korruptionsvorwurf gegen die Klinikleitung zum vermeintlichen Fehlverhalten der Mitarbeiterin. Während beim Verdacht auf Straftaten wie Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft und Korruption zu Lasten einer öffentlichen Einrichtung, auf faire Berichterstattung und ausgewogene Darstellung gepocht wird, wird die wegen Ordnungswidrigkeiten und Vergehen gegen den Datenschutz beschuldigte Mitarbeiterin der Presse und der Öffentlichkeit als Alleinschuldige ausgeliefert.

Solange kein Strafverfahren eröffnet ist, wird die Analyse und Deutung der Ermittlungsergebnisse derzeit leider exklusiv der Soko Linx, Nazis und empörten Journalisten überlassen. Vermutet werden darf auch, dass überhaupt kein Strafverfahren eröffnet wird. In keinem Ermittlungsverfahren. Weder gegen die Klinikleitung noch gegen die Mitarbeiterin. Aber nur die Mitarbeiterin sieht sich mieser Presse, Arbeitsgerichtsverfahren, Leaks aus ihrem Privatleben und herben Einschnitten in ihrer Einkommenssituation ausgesetzt, gegen die sich auf eigene Kosten und zu eigenen Lasten Stück für Stück wehren muss, um Recht zu bekommen. Nur die Vorwürfe gegen sie wurden zum Skandal erklärt, Empörung und Hass generiert, ihr Name verbreitet und mit schlimmen Wünschen überhäuft. Die Klinikleitung hat hingegen nichts zu befürchten als weitere diskrete Ermittlungen, über die niemand groß spricht und deren Geheimhaltung zum Standard journalistischer Sorgfalt gehört.