Sozi36 und die Radikale Linke

„Ohne revolutionäre Bewegung gibt’s keine revolutionäre Kunst“

Der radikale Straßenkünstler Sozi36 provoziert mit seinen Sperrmüllwerken politische Debatten auf Kreuzbergs Straßen.

Hunderte mit Parolen und Zitaten beschriebene Matratzen, Bettlaken und Holzschränke zählen zu dem Repertoire des Aerosolpoeten Sozi36. Er begann seine Karriere ganz klassisch mit Graffiti-Tags in den Neunzigern auf den Straßen der Hauptstadt. Als politischer Unterstützer einer revolutionär-kommunistischen Organisation und aufgrund einer nonkonformen Lebensführung war er in den Jugendjahren ständig von Repression und Gerichtsstrafen betroffen. Um nicht wegen Graffiti in den Knast zu gehen, verabschiedete er sich von dieser Leidenschaft. Doch einige Jahre später packte ihn wieder die Lust auf die Kunst. Seitdem bemalt er Sperrmüll in Berlin-Kreuzberg unter anderem mit politischen Botschaften. Seine künstlerische Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft, der politischen Linken und den Antideutschen führt immer wieder zu kontroversen Diskussionen auf der Straße und im Internet. In diesem Gespräch mit Megaphon gibt der Aktivist und Künstler Einblicke in seine politische Ideenwelt, die der Motor seines Schaffens ist.

Du hast mal gesagt, sobald Graffiti danach strebt, von allen gemocht zu werden, sei es nur noch Kunst. Mit deinen Arbeiten greifst du die Kreuzberger Wohlfühlzone an, richtest dich gegen neoliberale Popkultur, verurteilst pro-imperialistische Hetze und versuchst immer wieder dorthin zu gehen, wo es wehtut und Menschen vor den Kopf zu stoßen. Wie reagieren die Menschen, die du adressierst? Fühlt sich überhaupt jemand angesprochen? Wenn ja, entstehen dadurch Dialoge oder wirst du einfach bekämpft?

Also erstmal, ich bin kein Ritter. Ich bediene teilweise selbst die Sachen, die ich kritisiere. Das muss man ganz ehrlich zugeben. Ich bin Teil der Popkultur in Kreuzberg und mir bleibt nichts anderes übrig, als damit zu spielen. Mein Problem ist eher, dass zu viele Leute das gut finden, was ich mache. Es ist nicht so, dass ich rausgehe und die ganze Zeit angehatet werde. Wenn, dann kommen die Leute und geben mir zu viel. Ein Insta-Follower meinte mal treffend: Kunst, die nicht stört, ist Dekoration. Was mich rettet, ist, dass die Leute nicht inhaltlich alles gut finden, was ich so hinterlasse. Aber viele freuen sich, auf Dinge hingewiesen zu werden, die sie eigentlich ignorieren wollen. Und diejenigen, die mich hassen, die tun es dann lautstark. Da wird Stimmung gemacht, Arbeiten von mir werden kaputt gemacht, Graffitis von Antideutschen tauchen auf, die mich einen Antisemiten schimpfen, Nazis werden handgreiflich, die Polizei wird gerufen und ich werde angezeigt. Es gibt sogar Menschen, die in ihrer Freizeit mit ihrem Auto auf eigene Kosten meine Matratzen einsammeln und zum Depot der Berliner Stadtreinigung fahren. Insofern kann ich schon sagen, dass Sozi36 Gefühle auslöst. Das ist sehr schön.

Das Bild „Seebrücke statt Spargelbrücke“ wurde von Antideutschen zerstört.

Ende 2019 fand in Hamburg das Ausgeladen-Festival von den Rappern King Veganismus One und Dr. Alsan statt, auf dem auch du einen Auftritt hattest. Dort hast du geschildert, wie viel Hass und Engagement dir in deinem Leben als Künstler und Aktivist bereits von Antideutschen entgegengeschlagen ist und wie du damit umgehst. Fällt es dir leicht, auf solchen Veranstaltungen zu reden und warum machst du die Geschichten, die du dort erzählt hast, keinem breiteren Publikum zugänglich?

In diesem Konflikt will ich eigentlich gar nicht so dick auftragen. Einerseits, um mich selbst zu schützen. Die Antideutschen haben die bürgerlichen Organisationen hinter sich, sind „Journalisten“ der bürgerlichen Presse und der diskreditierende und existenzzerstörende Vorwurf des Antisemitismus geht bei ihnen runter wie Butter. Sie haben stolz die 110 auf ihrer Kurzwahltaste gespeichert und diese nutzen sie auch gerne. Zweitens bin ich des Themas auch satt. Ich bin unfreiwillig seit über 20 Jahren mit denen beschäftigt. Und das nervt irgendwann.

Sozi36 solidarisiert sich mit der politischen Gruppe „Jugendwiderstand“ und macht sich über Antideutsche lustig.

Andererseits kann man die nicht einfach unwidersprochen mit Schmutz werfen und die Deutungshoheit übernehmen lassen. Das hat die Antifa in den Nullerjahren getan: Der Preis war, dass jegliche Kapitalismuskritik als antisemitisch, Widerstand gegen imperialistische Aggression als Verteidigung einer Barbarei denunziert und die westliche Gesellschaft als „noch das Bestmögliche“ verteidigt wurde – und das auf breiter Front. Darum habe ich mich in den letzten Jahren auch gegen die Angriffe auf den Jugendwiderstand (JW), die Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) und Extinction Rebellion positioniert. Nicht, weil ich die Standpunkte dieser Organisationen teilen würde, sondern weil Angriffe von Antideutschen keine Privatangelegenheit sind.

Außerdem hat das für mich auch eine persönliche Note. Ich komme aus Osteuropa, mein Großvater war in Mauthausen interniert, Oma und andere Verwandte waren zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Dann kommen seit Jahren diese Lauchs und schimpfen mich mir nichts, dir nichts einen Antisemiten. Das geht einfach nicht klar.

Was ich aber über die Jahre gelernt habe: Viele Linksradikale freuen sich darüber, wenn man den Antideutschen Paroli bietet. Hinter vorgehaltener Hand prosten sie dir zu: „Ich sehe das genauso!“ Antideutsche sind nicht mehr so en vouge. Aber wenn du wieder mit einem Antisemitismus-Vorwurf konfrontiert wirst, stellt sich kaum jemand vor dich. Zumindest in Berlin ist das so. Viele linke Organisationen kommen zu mir und wollen irgendwelche Soli-Beiträge von Sozi36. Wenn es passt und ich das fühle, komme ich dem gerne nach. Aber meine Prognose ist, wenn’s mal wieder dicke von den Antideutschen kommt, werde ich keine dieser Orgas an meiner Seite sehen. Das heißt für mich, ich muss diese Denunziationen allein ausbaden. Auch darum ist meine Lust, diesen Konflikt weiterzuführen, hmm, nicht sehr stark.

„Die haben einfach nur die Buzzwords ‚Zionisten‘ und ‚World Trade Center‘ gelesen und sind ausgerastet.“

Sozi36 bei einer künstlerischen Aktion gegen eine rechte Kundgebung in Berlin. Links steht der AfD-Abgeordnete des Brandenburger Landtags Lars Günther.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel deiner Erfahrungen: Am 25. April 2020, zu Beginn der Proteste der Coronaleugner, bist du auf dem Rosa-Luxemburg-Platz durch eine Satireaktion auf einer Kundgebung der Coronaleugner aufgefallen. Einige antideutsche “Journalisten“ schienen deine Provokation nicht verstanden zu haben und warfen dir Antisemitismus vor. Was war das Ziel deiner Aktion und hast du es erreicht?

Überall, wo Linke an diesem Tag dieses Plakat gesehen haben, haben sie sich nicht die Zeit genommen, sich das Ding einfach mal durchzulesen und versuchen zu begreifen, was die Botschaft ist. Die haben einfach nur die Buzzwords „Zionisten“ und „World Trade Center“ gelesen und sind ausgerastet. Ich wurde auf der linken Gegenkundgebung tatsächlich teilweise von Leuten angegriffen, die das Plakat nicht mal zu Ende gelesen haben.

Auf der rechten Kundgebung war die Situation dann folgende: Ich war dort umgeben von Nazis, Verschwörungstheoretikern und Bullen, und die einzige Person, die auf dieser verbotenen Kundgebung sichtbar dagegen protestierte. Ich habe mich mit dem Schild bei den Interviews immer direkt ins Bild gestellt, um die Rechten zu entlarven. Und dann kommt dieser „Antifa-Journalist“ von Friedensdemo-Watch und geht mich an, macht ohne Ende Porträtaufnahmen von mir, kommt immer näher, direkt an mein Gesicht. Weißte, du bist umgeben von all diesen Arschlöchern, musst ständig links, rechts schauen dann kommt ein Antideutscher und wird körperlich. Als ich gepeilt habe, dass er kein Nazi ist, habe ich ihm erklärt, dass mein Schild ironisch ist. Es hat ihn nicht gejuckt, er hat es trotzdem gepostet und mich öffentlich als Antisemiten verleumdet. Beim Video vom Supernova Magazin ging es auch darum, was da für verrückte Verschwörungstheoretiker rumgelaufen sind, und dann wurde ich mit meinem Schild eingeblendet. Bei Spiegel TV das Gleiche. Ich habe beide Journalisten gefragt – den einen persönlich, den anderen online – was das sollte und die Antwort war: „Ich hab‘ das Schild nicht verstanden.“ Ja okay, Du hast es nicht verstanden. So what? Dann denk‘ doch mal nach. Leg das offen. Aber nichts. Der Höhepunkt war: Die vom Berliner Senat bezahlte Antifa-Organisation „Berlin gegen Nazis“ hat den Supernova-Beitrag auf Twitter gepostet – aber vorher hat sie mich geblockt – so dass ich keinen Widerspruch einlegen konnte. Sie alle wussten ganz genau, dass sie Fake News verbreiten.

Das Supernova Magazin versteht die Satireaktion von Sozi36 nicht und stellt ihn fälschlicherweise als rechten Verschwörungstheoretiker dar.

Das Witzige ist: Die Rechten haben das Schild immer und sofort verstanden: „Verpiss dich. Du verarschst uns hier. Wir wollen dein scheiß Schild nicht im Hintergrund haben.“

 „Die Basis für revolutionäre Kultur ist immer da.“

Die Türsteherpolitik der radikalen Linken wird von Sozi36 kritisiert.

Wo siehst du die Aufgabe revolutionärer Kultur in der heutigen Situation? Wenn überhaupt, würde man zurzeit ja eher von einer revolutionären Kulturszene reden als von einer Bewegung. Wäre es wünschenswert, dass eine Kulturbewegung entsteht, siehst du da Potenzial? Wie müsste eine revolutionäre Kulturbewegung aussehen, auf die du Bock hättest?

So eine revolutionäre Kulturbewegung kann auf jeden Fall nicht aus der radikalen Linken mit ihrer ekelhaften Türsteherpolitik entstehen. Dagegen richtete sich das bereits erwähnte Ausgeladen-Festival völlig zu Recht. Diese linke Mentalität: „Wir sind rein und du musst 100% so sein wie wir“, das ist abstoßend und zum Kotzen. Es gibt einen populären Szeneaufkleber mit der Aufschrift: „No Racism, No Sexism, No Homophobia, No Transphobia, No Antisemitism, No Discussion“. Das ist für mich wirklich das Elend: „Wenn du nicht 110% bist wie wir, dann bist du raus.“ Mit diesem mindset hast du ja jeglichen Anspruch verloren, das Bewusstsein der Massen verändern zu wollen. Das ist nur noch Vorspielen einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit. Und vor allem: Man spricht sich selbst von allem frei. „Ich bin in einem ‚safe space‘ mit dem ‚No-Discussion-Sticker‘ an der Tür, also sind nur die da draußen die Rassisten und Sexisten.“

Die Basis für revolutionäre Kultur ist immer da. Ich würde das, was ich mache, nicht als revolutionäre, aber schon als radikale Kunst bezeichnen wollen. Und viele Kreuzberger wollen das auch. Die wollen nicht mich. Ich bin nicht so geil. Die wollen, dass jemand kommt und ihnen vor die Tür kackt. Und nicht nur so konsensfähige Seebrücken-Messages. Die wollen: „Fick dieses bürgerliche System“ in Klartext. Und selbst wenn sie mit den Botschaften nicht d‘accord gehen, wollen sie, dass sie da sind als Teil des Diskurses. Viele Menschen wollen herausgefordert werden. Aber es ist auch egal, ob die Massen das wollen. Es ist einfach unsere Aufgabe, das zu tun – oder was ist sonst unser Job?

Die radikale Linke sprüht irgendwelche Parolen im Szenejargon an die Wände, was auch gut ist, no front, aber das ist nicht genug. Das ist auch keine Straßenkunst. Das schafft keine Interaktion. Ich finde, sie sollte den öffentlichen Raum viel mehr für Botschaften erobern. Dabei sollte sie aber auch die Massen adressieren. Eine radikale Linke die nur mit dem Ziel existiert, dass die radikale Linke existieren kann, hat keine Existenzberechtigung. Die Basis für revolutionäre Kultur ist jedenfalls da. Was fehlt, ist die revolutionäre Bewegung. Die Mittel sind auch da. Aber ohne eine breite, revolutionäre Bewegung, gibt‘s dann eben auch keine breite, revolutionäre Kunst.

„Das Ziel, mit der Klasse zusammenzufinden, ist natürlich richtig.“

Sozi36 ist kein Freund der bürgerlichen Demokratie.

Unter radikalen Kräften gibt es eine neue Klassenpolitik-Schiene. Sie haben das als Schlüssel für sich erkannt: Wie kommen wir wieder mit der Klasse zusammen? Wie siehst du dieses Konzept?

Salopp gesagt: Die linksradikale Szene will meist niemanden außer sich selbst erreichen. Okay, dann hast du in Berlin diese Kiezkommunenkultur und ähnliche Ansätze, die das wirklich teilweise anders versuchen. Ich find´s gut, dass die Leute was in diese Richtung machen. Aber das wäre jetzt nicht mein revolutionäres Konzept: „Wir bauen hier ein kleines rotes Haus auf und dann sehen die Leute, wie nett wir sind und dann werden sie auch rot, weil sie sehen, dass wir nett sind.“ Eine ähnliche Linie bin ich Ende der Neunziger- und in den Nullerjahren gefahren. Aber Kommunismus ist kein Virus, der sich verbreitet, weil du nett zu den Massen bist. Man muss politisch mit den Leuten arbeiten und nicht mit einer Fahrradwerkstatt alternative Sozialarbeit liefern. Also eine Fahrradwerkstatt oder Deutschkurse anbieten, das ist auch alles gut, dass es das gibt. So meine ich das nicht, aber das ist nicht das, was die Menschen dem Kommunismus näherbringt. Solche Quasi-Sozialarbeit sollte man der Zivilgesellschaft überlassen, die Angst vor radikalen Brüchen hat.

Also das Ziel, mit der Klasse zusammenzufinden, ist natürlich richtig. Aber man radikalisiert die Klasse nicht, indem man selbst weniger radikal wird. Nur der Kampf für den Kommunismus bringt den Massen den Kommunismus näher.

Die Massen merken, ob du sie betüddelst oder ob du politische Ziele verfolgst. In den Neunzigerjahren, war ich mit revolutionären Kommunisten unterwegs. Man kann uns alles Mögliche vorwerfen, aber wir waren eine der ganz wenigen Organisationen, die unter den Massen aktiv war. Wir haben 30.000 Flugblätter zu jedem Ersten Mai verteilt. Wochenlang, von morgens bis abends. 5000 Plakate, unendlich viele Diskussionen mit Jugendlichen in Hinterhöfen und an den Schultoren, U-Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Wir waren unter den Massen. Und ich sage nicht: Wir hatten die Massenunterstützung, die wir uns gewünscht haben. Aber wir haben wirklich viel Erfahrung gesammelt. Eine davon ist: Die Massen merken, was du ihnen „verkaufen“ willst. Weißt du, sie wollen mit dir kein Fahrrad bauen. Die wollen von dir Politik, deine Meinung, einen Weg hier raus und eine Vision, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und nicht: „Komm wir machen auch Kuchen, komm lecker Kaffee, wir sind voll nett. Wir sind zwar linksradikal, aber wir sind voll nett.“ Dann respektieren dich die Leute auch nicht. Und natürlich ist es auch gut, sich Zentren zu schaffen, die kannst du nutzen, Veranstaltungen machen, dies das. Aber Revolution ist, wie ich gesagt habe, kein Virus, der sich dann ausbreitet, weil du nett bist.

Du musst den Leuten was bieten. Und die Leute wollen Antworten, sie wollen Politik von dir. Und du wirst halt nicht alle kriegen. Verstehe mich nicht falsch, ich denke nicht, dass „die“ Massen jetzt nur auf uns warten, manche wollen grad nur ihre Ruhe haben, andere sind mit Überleben beschäftigt. Revolution zu machen, revolutionäre Bewegung aufbauen, dafür brauchst du eine bestimmte Ausgangssituation. Doch es heißt nicht, dass du jetzt nichts machen kannst. Du musst dich vorbereiten, du musst Einzelne radikalisieren und ausbilden. Du wirst jetzt keine Massen in der Zahl haben, aber du kannst einzelne Massen erziehen. Und dass sie dich erziehen und die Organisation stärken, um Kampferfahrung zu sammeln für den Moment, wo es dann wirklich heiß wird.

Der Künstler prangert den Opportunismus der „Studenten-Antifa“ an.

Und dann hast du diese Zivilgesellschaftsleute, iL und so. Das ist noch eine andere Ebene, aber das ist nicht so wie die „Wir-haben-die-Klasse-wiedergefunden-Strömung“, das vermischt sich aber auch. Und manches ist besser, manches ist schlechter geworden. Vieles ist schlechter geworden. Die Zeiten sind so schlecht, dass ich mir manchmal die Antifa der Neunzigerjahre zurückwünsche. Ich mochte sie damals schon nicht, am Ende des Tages ist ihr nichts anderes eingefallen, als die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie. Aber es war immer noch besser als das, was jetzt ist, denke ich. Andererseits ist das, was jetzt ist, das Ergebnis der Antifa der Neunzigerjahre. Okay, das ist echt: „Opa erzählt vom Krieg.“ Aber so sehe ich das.

Und auch mit den anderen reformistischen Organisationen ist es so. Noch mal vom Krieg von früher erzählt: „Die“ Antifa hat sich immer Geld von der Linkspartei (früher PDS) und ähnlichen Organisationen geholt. Das wurde von uns kritisiert. Und die haben immer gesagt: „Ne, ne wir verarschen die nur. Wir ziehen das Geld ab.“ Meine Leute meinten: „Die nehmen jetzt das Geld und später arbeiten sie bei denen.“ Und meine Leute haben total recht behalten, weil natürlich der Hund mit dem Schwanz wackelt und nicht andersherum. Und jetzt arbeiten viele dieser ehemals „Radikalen“ in Parteien, in Stiftungen oder in Gewerkschaften im besten Fall als Bewegungsmanager und im schlechtesten als Hetzer bei Jungle World und Springer. Und das sind alles Leute von früher. Die reformistischen, sozialdemokratischen Organisationen wissen ganz genau, was sie machen, schließlich wirken sie seit über 100 Jahren systemintegrierend. Also jetzt nicht als bloßer Verschwörungsplan. Natürlich gibt es auch gute Individuen bei Die Linke und Co, aber diese Organisationen als solche sind auf jeden Fall kein Teil einer radikalen Bewegung.

Also klar, kämpfen ja, aber die wichtigste Frage ist immer: Kämpfen wofür? (Lacht.) Ich find´s einerseits gut, weil diese Rückbesinnung auf Klasse hört sich nach einer Radikalisierung an. Im Gegensatz zu den Nullerjahren, wo alles so antideutsch verseucht und nur Antifa oder so war. Das ist natürlich erstmal ein guter Schritt von den vorherigen zwanzig Jahren Massenverachtung. Aber mir kommt es so vor, als müssten die alle alles von der Pike auf lernen. Dabei gibt es revolutionäre Erfahrungen, positive wie negative, auf die man sich stützen kann, in Deutschland und auch weltweit. Dieses aktuelle „den Massen hinterherlaufen und nach dem Mund reden“ ist kein Zusammenfinden mit der Klasse. Das hat Lenin schon 1902 in „Was tun?“ seziert. Diese Schrift ist, wie wenn er über die linke Szene heute schreiben würde. Das ist tragisch.

Möchtest du zum Abschluss noch etwas loswerden?

Ja, unbedingt. Ich höre mich hier vielleicht etwas wie ein Hater an. Das bin ich nur in dem Punkt, wo politische Kräfte bemüht sind, die Menschen im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft zu halten. Aber ansonsten ist es solidarische Kritik. Mir ist es tausendmal lieber, die Aktivist*innen machen etwas, wo ich denke, das sei nicht zielführend, aber ich kann mit ihnen über das Was, Wie und Wohin streiten, als dass sie sich zynisch zurückziehen und ihr Aktivismus sich über das Lesen der Hetze in der Jungle World definiert.

Das Gespräch wurde am 15. Mai 2020 aufgenommen.

Interview: Paul Müller