Ich schreibe diesen offenen Brief als Ausdruck meiner Ohnmacht. Die politische Linke ist in Deutschland derzeit schwach und ohne politischen Einfluss. Stattdessen gewinnt die politische Rechte an Bedeutung und manifestiert ihren Herrschaftsanspruch auch mit Gewalt. Gegenwärtig erkenne ich dazu noch eine aggressive, rassistische Mobilisierung, eine Akzeptanz und Toleranz für Repression, wenn es die „Richtigen“ trifft, und ein Durchsetzen nationalistischer und militaristischer Ideale. Das alles zusammen genommen treibt die Faschisierung in Deutschland voran.
Dieser Brief ist von der Überzeugung motiviert, dass jene Akteure und Strukturen, die gegenwärtig in D nur einem Staat exklusiv das Recht auf Selbstverteidigung zusprechen und bedingungslose Solidarität einfordern, und damit die Vernichtung der Menschen im Gaza-Streifen zumindest billigend in Kauf nehmen, so auch jederzeit die imperialistischen Interessen des deutschen Staates gegen jede linke Kritik verteidigen werden. Die Dämonisierung der Gegner ist dem Krieg als Bedingung eingeschrieben, wenn kriegerisches Handeln gerechtfertigt wird. Im Krieg werden die inneren und äußeren Feinde bekämpft. Die gegenwärtige Bedeutungslosigkeit der politischen Linken erkläre ich damit, dass es nicht mehr gelingt, linke Politik in der Öffentlichkeit abzubilden. Es gibt zwar einigermaßen prominente Linke, die es zu einem Minimum an Reichweite in sozialen Medien geschafft haben, weil sie eben nicht radikal denken und tatsächlich niemandem sonst, als eben radikalen Linken und der migrantischen Community, gefährlich werden. Diese Leuchttürme des linken Liberalismus sind derzeit damit beschäftigt, ihre Kanäle und Reichweite dafür zu nutzen, auch diesen Krieg des Staates Israels moralisch zu legitimieren und Ängste vor Palästinensern und Palästinenserinnen im Speziellen, und Muslimen im Allgemeinen, zu schüren. Die Manipulation der öffentlichen Meinung findet dabei mittels bedingungsloser Parteinahme für die Belange des Staats Israel statt. Auch die Staats- und Herrschaftskritik der israelischen Linken muss dabei ignoriert werden. Zwischen den halbherzigen Mahnungen an das eigene Publikum, nicht alles zu glauben und jede Information skeptisch zu hinterfragen, werden potenzielle Kriegsverbrechen Israels mit Verweis auf unseriöse oder sogar zweifelsfrei parteiische Quellen als vermeintliche Propagandalügen der Kriegsgegner verharmlost. Die Angst vor den als solchen markierten Feinden des Krieges wird hingegen komplett ungeprüft und ohne jede Hemmung befeuert.
Ich schreibe diesen Brief als Individuum, und nur in meinem Namen, um dem ziemlich sicheren Argument vorwegzugreifen, den hier als Beispiel Vorgeführten einer besonderen Bedrohung auszusetzen oder ihn mundtot machen zu wollen. Der Angesprochene ist viel zu gern (auch mein) Opfer und blamiert sich auch ohne mein Zutun. Aber ich will, dass er weiß, dass ich für ihn keine Gefahr bin und auch keine Bedrohung sein möchte. Er ist in seinem politischen Output nur ein weiteres Beispiel dafür, was meines Erachtens innerhalb der Linken gerade schief läuft. Das Einzige, was ihm droht, ist Scham nach erfolgreicher Selbstreflexion. Und das ist auch das gewünschte Ziel dieses Briefs. Ich bin eine Frau, die einen Brief an einen Mann ins Internet stellt, in dem sie ihn bittet, ihr zuzuhören:
Robert Fietzke ist laut twitter Antifaschist, Lehrbeauftragter an der Hochschule Magdeburg-Stendal, Sprecher des Bündnisses „Magdeburg Solidarisch“. Außerdem arbeitet er als Projektleiter in der Fachstelle Flucht und Asyl beim Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. und schreibt Kolumnen für Mission Lifeline. Eine Kolumne wurde am 10.07.2023 veröffentlicht und trägt den Titel „Demokratie am Kipppunkt“. Darin bedauert er die Wahlerfolge der AfD und stellt fest, dass diese Entwicklung vielen Menschen Angst macht. Das geht mir auch so. Er schreibt, über Normalisierung von Rassismus, Abschottungspolitik und Diskursstillstand, über kapitalistische und unmenschliche Verwertungsprinzipien und darüber, dass sich Rassismus nicht verplomben lässt. Im letzten Absatz fordert er von einem unbestimmten Kollektiv folgende Feststellung: Auch wir haben mit unserer anti-sozialen Politik der letzten Jahrzehnte und unserer rechtspopulistischen Ansprache dazu beigetragen, dass sich menschenfeindliche Ressentiments ausdehnen konnten und gleichzeitig immer mehr Menschen jedes Vertrauen in die Politik verloren haben. Die bisher gemachten Fehler einzusehen, sei der erste Schritt, um Faschismus aufzuhalten. Er schließt seine Kolumne mit einer salopp formulierten Formel ab: „Haltet öfter mal eure Klappe und hört zu, was linke Antifaschist*innen seit Jahren zu sagen haben. Bisher hatten sie mit all ihren Warnungen nämlich Recht. Leider.“
Mit diesem Appell im Kopf schreibe ich hier: Ich bin eine linke Antifaschistin, die seit Jahren vor rechter Ideologie und Politik warnt und leider viel zu oft damit Recht hat. Hört also mir darum bitte zu. Ich schreibe das, weil ich meine, dass auch der öffentliche Output von Robert Fietzke, die in seiner Kolumne absolut zu Recht kritisierten Entwicklungen, eben nicht behindert oder aufhält, sondern er im Speziellen auch diese aktiv befeuert. Und ich erkläre meine Warnung vor antisozialen und rechtspopulistischen Ansprachen:
Auf seinem twitter-Account schrieb er am 12.10.2023 folgendes [1]:
„Für morgen ruft #Hamas faktisch zu einem globalen Jihad auf. Brutale Videos als Begleitung. Das war von Anfang an das Playbook. Die Gefährdungslage ist real. Wer Antifaschist ist, steht solidarisch, schützend und unterstützend an der Seite der jüdischen Schwestern und Brüder.“ Eine Nachfrage zu einer Quelle der Nachricht ließ er unbeantwortet.
Am 13.10.2023 teilte er einen Beitrag des ZDF und unterstellt in seinem Kommentar: [2]: „[d]as ZDF hat „Die #Hamas hat für heute weltweit zu Gewalt gegen jüdisches Leben aufgerufen“ irgendwie falsch geschrieben.“ Mit einer sehr speziellen Interpretation (die Hamas hatte lediglich zu Protesten aufgerufen) bedient er ein Gefährdungsnarrativ. Er schürt damit nicht nur Rassismus in D, er nimmt auch die durch solche Aussagen ausgelöste Angst in der jüdischen Community in D billigend in Kauf. Auch Michael Sappier fällt das auf und er fragt nach [3]: „Hast du einen Quellenhinweis dafür? Israelische und englischsprachige Medien berichten auch nur von einem Aufruf zu Protest gegen Israel, nur im Deutschland zirkuliert diese Erweiterung die meine Familie in Panik versetzt und ich möchte wissen, auf welcher Basis.“ Spätestens jetzt wäre zu hoffen gewesen, dass Fietzke reflektiert, was er da macht. Aber Robert bestätigt erneut dieses Gefährdungsnarrativ, auch gegen weitere Kritik.
Der Umstand, dass Fietzke mit solchen nicht haltbaren Behauptungen in einer ohnehin täglich von Antisemitismus betroffenen Community Panik auslöst und selbst kritische Erwiderungen dazu nicht ernst nimmt, entsetzt mich. Ich möchte, dass Kolumnisten ihre eigenen Ratschläge auch beherzigen. Antimuslimischen Rassismus zu befeuern, schafft zudem die ideologische Basis für den Erfolg der AfD. Zu allem vorher Gesagtem passt, dass er die Kriminalisierung einer palästinensischen Gefangenenorganisation und die Entsolidarisierung durch die Rote Hilfe unterstützt, wobei die Folgen für die Betroffenen mit einem Satz abwiegelt werden [4]: „Abschiebungen sind und bleiben Scheiße und falsch!“
Ben Miller wirft Robert Fietzke am 13.10.2023 in einem Retweet vor, was ich hier nachweise [5]: „Die deutsche Linke beteiligt sich selbst in den letzten Tagen an diesem Prozess der Verschiebung des gesamten Diskurses nach rechts. Sie schürt Angst und Hass auf Migranten, sie macht sich selbst langsam immer unfähiger sich zu wehren.“
Miller kommt zu dem Fazit [6]:
„Jeden Tag schließen sich mehr falsche Linke mit falscher Politik Friedrich Merz und Alice Wiedel an, um über die angeblich brennende Gefahr des imaginären dunklen Bezirks „Berkin-Neukölln“ mit all seinen vermeintlichen Schrecken zu schwärmen.“
Auf der Suche nach einer möglichen Grundlage seines Denkens fand ich einen älteren Tweet vom 11.10.2023. Darin schreibt Fietzke [7]:
„Manchmal denkt mein naives Hirn „Dieses Ereignis wird die sicherlich zum Nachdenken gebracht haben“ und dann sehe ich „Linke“, die auf Anti-Israel-Demos „Jin, Jiyan, Azadî“ rufen, Tage, nachdem die vom Iran unterstützte Hamas Frauen vergewaltigt, trophäisiert und massakriert hat.“
Er instrumentalisiert die Gewalt an Frauen und verlangt von einer Auseinandersetzung mit dem Thema sexueller Gewalt die Täter zu ethnisieren und damit ethnosexistisch und rassistisch zu denken. Den gewünschten Lernerfolg am Ende des erhofften Nachdenkens, sieht er dann vermutlich in einer Dämonisierung der jeweiligen Gruppe, zu der die zuvor nach Ethnie selektierten Täter gehören sollen. Pathische Projektion zieht sich durch die Tweets seiner letzten Tage: Die Gewalt der HAMAS rechtfertige einen Krieg gegen die Menschen in Gaza und eine humanitäre Katastrophe. Aber die Konsequenz seiner Angstmacherei ist eben auch, dass nicht nur Juden in D Angst vor Zuwanderung haben (dürfen), sondern auch die Repression und Asylgesetzgebungen weiter verschärft werden (können). Die Angst vor Fremden, die auch Robert befeuert, ist die legitimierende Basis für demokratische Prozesse, die am Ende Menschenleben in Kriegen und auf Fluchtrouten kosten. Fietzke schafft es, sich rhetorisch links aufzustellen und sich ideologisch selbst rechts zu überholen.
Als Beleg und Aufforderung einer dringend notwendigen Dekolonisierung von Fietzkes Denken verweise ich auf die inflationäre Verwendung des Wortes „Barbarei“ in seinen Tweets: Der Begriff „Barbarei“ ist der zentrale Begriff für die Beschreibung anderer Völker, die seit der Antike die Abwertung anderer Kulturen markiert und immer wieder neu bestimmt wird. In der europäischen Geschichte ist „Barbarei“ auf das Engste mit dem Kolonialismus verbunden und muss somit als dessen Komplize und Erbe verstanden werden. „Barbarei“ steht für das „Andere“ westlicher Ordnung und zivilisierter Werte. Man beklagt damit furchtbare Verbrechen und verurteilt sie als moralisch besonders verwerflich. Zurückgreifen können diese politischen Verwendungsweisen auf eine lange Geschichte theoretischer Konzepte der „Barbarei“. Obwohl ein enger Zusammenhang zwischen „Barbarei“ und Kolonialismus besteht, ist es bemerkenswert, dass der Begriff im Alltag und in der Theorie weiter verwendet wird. In der Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten wurde der Begriff dann zum Platzhalter für die Kritik von Menschheitsverbrechen. Dabei wird verdrängt, dass auch der Kolonialismus ein Menschheitsverbrechen ist und als solches kritisiert werden muss.
Ich verstehe darum absolut nicht, warum jemand wie Robert, der mit Gefährdungsszenarien und kolonialistischem Denken und Sprechen in voller Absicht Angst auslöst, Kritik daran nicht ernst nimmt und rassistisches Denken als Lernerfolg auch von Linken verlangt, sich in euren Namen Aufmerksamkeit für seinen fürchterlichen Twitteroutput abholen darf. Mit der Dämonisierung von Menschen in Kriegsgebieten, stützt er die europäische Abschottungspolitik, die Menschen auch noch während ihrer Flucht aus Kriegsgebieten in Lebensgefahr zwingt. Während er im Nachgang darüber empört kolumniert.
Eigentlich möchte ich diesen Brief mit einer politischen Forderung abschließen, aber ich weiß, dass sein Output in all seinen Konsequenzen leider dem Mainstream entspricht. Meine Kritik daran befindet sich in der deutlich ungünstigeren Position. Aber vielleicht schafft es ja jemand von euch, ihn in die kritische Selbstreflexion zu begleiten. Für viele – vorallem von Rassismus Betroffene und Traumatisierte – ist das nämlich richtig schlimm, wenn so jemand noch zusätzlich Reichweite bekommt, denn aufmerksamkeitstechnisch ist seine Stimme überall gern gesehen – auch und gerade wegen der vermeintlich moralisch korrekten, äußerst empörten, aber nachhaltigen Konsequenzen für von Rassismus Betroffene und/oder ohne deutschen Pass. Die linke Kritik an rassistischen Linken hat keine Reichweite und sucht sie auch nicht. Ich will nicht gewählt werden, auch keine Bekanntheit (das bedeutete für mich nur Risiko und keinen einzigen Vorteil) – aber ich will, dass auch meine palästinensischen und muslimischen Freunde und Freundinnen in meiner Nachbarschaft, weder Angst vor Kriminalisierung noch vor Ausweisung haben müssen. Kein marginalisierter Mensch sollte Angst vor linker Politik haben müssen. Dazu ist aber zwingend notwendig, dass Robert mal seine Klappe hält. Zum Versprechen einer verbindlichen Solidarität innerhalb der politischen Linken würde es nach meinem Dafürhalten beitragen, wenn zumindest nationalistische Rassisten wie Robert nicht mehr unter dem Label links reichweitenstark derart unreflektiert ethnosexistischen und kolonialistischen Müll behaupten, ihren Nationalismus und Kriegslust ausleben, und rechte Narrative damit befeuern.
Wir leben beide in einem Bundesland, da ist die AfD zweitstärkste Fraktion hinter der CDU. Robert ist weder von Rassismus betroffen, noch von Repression und er muss auch das europäische Grenzregime nicht fürchten. Ich fordere ihn darum als linke Antifaschistin auf, endlich seine Klappe zu halten und auch von Rassismus Betroffenen zuzuhören. Bisher hatte ich mit all meinen Warnungen nämlich Recht. Leider. Schon allein die gegenwärtige Kriminalisierung palästinensischer Symbolik, die brutale Polizeigewalt gegen Solidaritätsdemos, die das Leid der Menschen in Gaza und im Westjordanland thematisieren, die Einschränkung der Grundrechte und die Folgen der Repression für rassifizierte und migrantische Menschen, samt Ausweisungsforderungen, die durch seine ideologische Unterstützung getragen werden, bedeuten auch für alle Mitverantwortung, die ihm eine Bühne geben.
Nun sitze ich also hier und denke darüber nach, was ich tun könnte und wem ich wie nützlich sein kann. Ich denke darüber nach, was meine derzeitige Aufgabe ist, wie und wann ich meine Privilegien einsetze. International kann ich nichts ausrichten. Das weiß ich. Ich werde auch das Handeln der BRD nicht beeinflussen. Aber ich kann zumindest versuchen, die Linke wieder solidarisch werden zu lassen, in dem ich diejenigen deutlich und sichtbar kritisiere, die nach meinem Dafürhalten gerade richtig viel unsolidarischen und rassistischen Mist publizieren.
Mit antifaschistischen Grüßen
Emily Williams
Quellen:
[1] https://twitter.com/robert_fietzke/status/1712573538928853332
[2] https://twitter.com/robert_fietzke/status/1712786598167720240
[3] https://twitter.com/meemsaf/status/1712798606950817900
[4] https://twitter.com/florableibt/status/1712481817750872193
[5] https://twitter.com/benwritesthings/status/1712791810165084267
[6] https://twitter.com/benwritesthings/status/1712792141422866649
[7] https://twitter.com/robert_fietzke/status/1712178458862784781