Marxistische Prostitutionskritik im Dunst des Linksliberalismus

Lari (@miomiomarx) über liberale Standpunkte zur „Sexarbeit“ in der marxistischen Tageszeitung Junge Welt

Vergangene Woche erschien in der jungen Welt ein Interview von Annuschka Eckhardt mit „Sexarbeiter*in, Antidiskriminierungstrainer*in und Autor*in“ Ruby Rebelde über die gegen Rebelde erhobene Unterlassungserklärung durch den Ausstiegsverein Sisters e.V. In diesem Text wird unkritisch die Position und Darstellung Rebeldes über „Sexarbeit“ allgemein und den konkreten Rechtsstreit wiedergegeben. Unterstrichen wird diese einseitige Darstellung bereits durch die Unterüberschrift „Verein Sisters überzieht Sexarbeitende mit Klage“, welche ebenso gut „Prostitutionskritikerinnen wehren sich gegen Diffamierung“ hätte lauten können.

Interessant ist, dass sowohl die Interviewerin als auch Ruby Rebelde an keiner Stelle klar erwähnen, worum genau es in der Klage eigentlich geht: Den Antisemitismus-Vorwurf, den Rebelde gegenüber prostitutionskritischen Organisationen und Aktivistinnen aus deren Verwendung des Lobbybegriffs konstruiert. Stattdessen wird schwammig um den Inhalt herumgeredet, es wird von der allgemeinen Kritik Rebeldes an den Argumenten der Klägerinnen und dem Begriff der „Prostitutionslobby“ geschrieben. Aus welchen Beweggründen Rebelde den konkreten Anlass der Klage verschweigt, kann man sich denken. Ob dies auf Seiten der jungen Welt Kalkül oder ungenaue Recherche war, bleibt offen, denn trotz zahlreicher Hinweise darauf gab es bisher keine Stellungnahme.

Dabei kennen politisch aktive Linke in Deutschland doch den konstruierten Antisemitismusvorwurf als ultimatives Totschlagargument nur zu gut. Und auch die gängige Vermischung von Prostitutionskritik und Transfeindlichkeit wird im Artikel nicht ausgespart, was umso mehr verwundert, wenn man bedenkt, dass Eckhardt Co-Host beim Podcast 99 zu Eins ist, der letztes Jahr noch die Aussteigerin und trans Frau Esperanza Fonseca zur Prostitutionskritik interviewte.

Das alles soll nicht heißen, dass es keine haltbaren Kritikpunkte am Verein Sisters gibt. Diese werden im Artikel allerdings nicht vorgetragen. Und trotz aller inhaltlicher Differenzen, die man haben kann: Das Netzwerk Ella, das als Selbstorganisation ausgestiegener Frauen aus der Prostitution gegründet wurde und agiert, als Gegnerin aktiver Prostituierter darzustellen und damit zur größeren Gefahr als Freier und Zuhälter zu erklären, sollte als tatsächlicher Antifeminismus benannt werden. Auch die Bezeichnung der Unterlassungsklage als SLAPP (Strategic Lawsuits against Public Participation) ist irreführend, da dies ein Machtungleichgewicht suggeriert. Die großen, einflussreichen Organisationen gegen die einzelne Aktivist*in und Sexarbeiter*in. Unterschlagen wird dabei mal eben, dass Ruby Rebelde Vorstandsmitglied bei Hydra e.V. ist.

Soweit zur (Falsch-)Darstellung des Ausgangspunkts des Artikels. Im weiteren Verlauf werden Rebeldes liberalen Standpunkten zur „Sexarbeit“ Raum gegeben. So spricht Rebeldes unkritisch abgedruckte Aussage „dann können wir auch sagen, hier haben wir es mit selbstbestimmter Sexarbeit zu tun und dort haben wir es mit Ausbeutung zu tun“ Bände über das eigene politische Verständnis. Wer auf der einen Seite als Hauptargument „Sexarbeit ist Arbeit“ verwendet und auf der anderen diese Arbeit von Ausbeutung abgrenzen möchte, bewegt sich im Linksliberalismus, nicht im Marxismus.

An dieser Stelle wäre es tatsächlich möglich, eine Kritik sowohl an den Verfechter*innen angeblich „selbstbestimmter Sexarbeit“ als auch an nicht-marxistischen Prostitutionsgegner*innen aufzumachen, denn beide legen einen falschen Begriff von Arbeit und Ausbeutung an. So wird Prostitution entweder als fundamental von Arbeit verschieden und deswegen als Frauenausbeutung betrachtet, oder als eine „Arbeit wie jede andere“, die allerdings auf magische Weise nicht ausbeuterisch, sondern empowernd sein soll. Diese beiden die öffentliche Debatte bestimmenden Positionen kann man als Kommunistin allerdings gleichermaßen ablehnen und es beispielsweise mit Nadescha Krupskaya sagen: „Bürgerliche Professoren gehen schamlos in den Druck, um zu behaupten, dass Prostituierte keine Sklaven sind, sondern Menschen, die sich entschieden haben, diesen Weg zu gehen! Es ist die gleiche Heuchelei, die darauf besteht, dass niemand einen Arbeiter daran hindert, eine bestimmte Fabrik zu verlassen, in der es unmöglich ist zu atmen, was mit dem Staub, den giftigen Dämpfen, der Hitze und so weiter zu tun hat. Sie arbeiten dort ‚freiwillig‘ 16 bis 18 Stunden am Tag.“

Kürzer gefasst: Prostitution weist sowohl allgemeine Charakteristika sonstiger Arbeit auf, was Ausbeutung miteinschließt, als auch Besonderheiten, wie die ihr inhärente patriarchale Gewalt. Diese knappe Erkenntnis, die lange Zeit der kommunistischen Linie entsprach, scheint im Dunst des Linksliberalismus immer wieder neu entdeckt werden zu müssen. Einerseits hat man sich als kommunistische Feministin daran gewöhnt, andererseits ließen das neu aufgeflammte Interesse und vermehrte öffentliche Beiträge der letzten Jahre doch Hoffnung auf einen Kurswechsel innerhalb der linken Bewegung zu diesem Thema aufkommen. Aber wenn es um die Rechte von ausgebeuteten Frauen und Queers geht, sieht man das mit der marxistischen Linie eben nicht so eng und ordnet unsere Leben der „kontroversen Debatte“ unter.