Magdeburg 2025 Kulturhauptstadt

Nein zur Kulturhauptstadt Magdeburg2025

Von Richard Sorge – Wenn Kultur zu Stadtmarketing verkommt

Anstatt weiter auf Prestigeprojekte wie die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Magdeburg2025 zu setzen, sollten die Landesregierung und die Stadt Magdeburg lieber versuchen bspw. den Brandbrief der Clubszene, welche im Angesicht der „Corona-Krise“artikuliert wurde, ernstzunehmen und sie praktisch und unkompliziert finanziell zu unterstützen. Das würde die Kultur und Identität in und mit Magdeburg wirklich fördern.

Zumeist Abstraktes Gefasel

Kulturhauptstadt 2025: Fast jeder in Magdeburg hat schon mal etwas davon gehört. Denn schon seit 7 oder gar 8 Jahren läuft die Bewerbung Magdeburgs zur Kulturhauptstadt 2025. Jedoch wird kaum wer wissen, worum es dabei eigentlich geht oder weshalb unbedingt Magdeburg Kulturhauptstadt werden soll. Auch die Internet Präsenz der Kampagne Magdeburg2025 gibt darüber nicht viel Aufschluss. Wenn Menschen der Begriff Kultur durch den Kopf geht, denken sie vielleicht an alte Skulpturen, an Theater, Clubkultur, Venues und soziokulturelle Zentren, vielleicht auch Graffiti. Doch die Bewerbungsseite Seite wirkte eher wie der Internet-Shop eines Fliesenherstellers: fugentreu und distanziert

Internetpräsenz Magdeburg 2025

Auf die Frage „Warum bewerben wir uns eigentlich?“ antworten die InitiatorInnen von Magdeburg 2025:

„Der Wettbewerb um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ ist eine immense Chance. Wenn sich eine Stadt entscheidet, sich an ihm zu beteiligen, so beweist sie den Mut sich selbst zu hinterfragen und den Willen, etwas aus sich zu machen. Für alle, für die Zukunft. Der Bewerbungsprozess ist ein einzigartiger Anlass, um eine gründliche Standortbestimmung vorzunehmen, um genau zu analysieren, welche Potentiale in einem stecken – und welchen Herausforderungen man sich gegenübersieht. Ein Anlass, um innovative Zukunftspläne zu schmieden, die genau zu einem passen. Und das ganz unabhängig vom Titelgewinn.“

Viel abstrakter hätte eine Antwort nicht ausfallen können, zumal sie sich gleich selbst infrage stellt. Wozu sich bewerben, wenn es nur um Zukunftspläne & Standortbestimmung „ganz unabhängig vom Titelgewinn“ geht? Doch ganz so unabhängig vom Titelgewinn ist diese Entwicklung wohl nicht. Zudem wird auch von Zusammenrücken & einem großen „WIR als Stadt“ gesprochen. Doch ist das unsere Realität, haben wir alle die selben Ziele & Wünsche?

Herrschafts-Identität oder proletarische Kultur?

Ein formuliertes Ziel der Initiative „Kulturhauptstädte Europas “ ist es bei den BürgerInnen & Bürgern das Gefühl zu stärken, einem „gemeinsamen Kulturkreis“ anzugehören. Identität scheint also wieder das Schlagwort der Stunde zu sein, die „europäische Identität“ steht dabei im Mittelpunkt. Es zeigt sich klar, wie der Begriff „europäisch“ über die Bewerbung und durch die Abhängigkeit von Geld und Öffentlicher Wahrnehmung beeinflusst werden soll. Man will sich als aufgeschlossen, tolerant, europäisch und kulturell reich präsentieren. Es wird versucht, die Identifizierung mit dem Projekt Europa zu stärken. Einem Europa, welches auch aus der Kulturszene unbedingt kritischer betrachtet werden sollte.

Herzschafts Kultur

Spiegelt das Europa, in dem die europäische Politik & Fördertöpfe die Begriffe “Kultur“ bestimmen, unser aller Identität wider? Natürlich sind immer auch die Akteure vor Ort gefragt, doch welche Kultur genau ist erwünscht? Warum interessiert sich der normale Bürger eher für Konzerte als für dröge Museumsbesuche, Theater oder Lesungen in geschichtsträchtigem Ambiente?

Mit Sicherheit liegt es daran, dass durch finanzielle Abhängigkeiten immer auch versucht wird, mit Kultur auch Identitätspolitik bei gleichzeitigem Standortwettbewerb zu betreiben. All die Kampagnen & Geschichten über bspw. Kaiser Otto & die ganzen Königen & kirchlichen Reformer sind jedoch nicht die Geschichten und die Kultur der „einfachen Menschen dieser Stadt“. Sie sind als erstes vor allem immer „Herrschaftskultur“ der politischen Klasse. Es ist wichtig, dass junge Generation ermöglicht wird, den reichhaltigen Kulturschatz vergangener Zeiten kennenzulernen. Doch repräsentativ sind sie deswegen noch lange nicht.

„Unsere Kulturschätze“ sind für die meisten lange nicht so interessant wie bspw. ein Besuch beim „großen 1.FCM “. Denn das ist z.b. proletarische Kultur. Dort hat sich bspw. mittlerweile eine Jugend & Ultrakultur entwickelt, welche breit im Proletariat verankert und anerkannt ist. Sie spiegelt das Bedürfnis nach Kultureller Partizipation,Gemeinschaft und Identität wider, welche im kapitalistischen Normalbetrieb häufig verloren geht. Überall auf den Straßen Ostdeutschlands drückt sich proletarische Alltagskultur aus und verewigt sich in Aufklebern oder Graffiti im kulturellen Gedächtnis der Straße & der proletarischen Jugend. Doch diese Kultur ist illegal und unkontrollierbar und stört somit auch in der Gestaltung des Stadtbildes der herrschenden & regierenden Klasse. Und auch wenn sich alle über die bunten Choreos im Stadion freuen, welche von den Ultras organisiert werden, so betrachtet man andere Teile ihrer Kultur hingegen als unschön & rücksichtslos. Sind die Wände und die Laternen erstmals voll gemalt und zugeklebt, wird aus dieser Kultur in den Augen der Spießbürger sehr schnell „Vandalismus“.

proletarische Kultur oder Vandalismus

Auch die Party & Clubkultur ist ein Beispiel proletarischer Kultur, welche es im öffentlichen Diskurs häufig schwer hat. Zudem spielt sie in der öffentlichen Wahrnehmung um den Begriff Kultur eine nachgeordnete Rolle. Auch ihr fällt es schwer, gesellschaftlich & kulturelle Akzeptanz zu entwickeln. Häufig haben Clubbetreiber mit Ruhestörungs-Klagen der Anwohner oder bürokratischen Hürden der Stadt zu kämpfen. Doch wenn mal das Imageträchtige und finanziell Gewinnbringende „ We love Musik Festival“ im Stadtpark Magdeburg stattfindet, sind Lärmbelästigung, Schmutz und Bürokratie plötzlich kein Problem mehr für die Stadtverwaltung. Denn solche Mega-Events bringen der Stadt BesucherInnen & Geld. Die proletarische (Sub)-Kulturen ziehen hingegen keine Touristen & Geld in die Stadt und sie bringen auch kein besseres Image für eventuelle Investoren an den Start.

Kulturhauptstadt sind wir Alle?

Ausgeschriebene Kriterien für den „Kulturwettbewerb“ sind:

– Stadterneuerung

– Stärkung des internationalen Profils von Städten

– Imageverbesserung von Städten in den Augen ihrer eigenen BewohnerInnen

– kulturelle Neu-Belebung

– Belebung des Tourismus

Freiraumlabor kostete 100,000 Euro -Feiern für Aufwertung

Ein Hauptziel ist also die wirtschaftliche Standortverbesserung durch den Titel der Kulturhauptstadt zu beflügeln. Das zielt darauf ab, mit mehr Kultur Touristen in die Stadt zu locken und mit der gleichzeitigen Umgestaltung der Stadt dann auch Investoren zu ködern. Es geht klar darum, langfristig eine wirtschaftliche Entwicklung zu befördern. Denn für die politische & wirtschaftliche Klasse, ist Kultur ein Mittel um Geld und Image zu machen. Dass diese Ausrichtung auf Tourismus und der sogenannten Stadterneuerung meist auch Aufwertung im Sinne der Besitzenden und Verdrängung ärmer Schichten bedeutet, muss jedem klar sein der solche Standort- Kampagnen mitträgt. Dazu zählen Zwischenstands-Nutzungen von Leerstandflächen genauso wie Aktivierungskonzepte wie das sogenannte „FreiraumLabor. Auf den ersten Blick scheinen sie eine „kulturelle“ Bereicherung zu sein, doch zielen sie ebenfalls auf wirtschaftliche und ökonomische Aspekte ab. Quartiersmanagement & Stadtteilmarketing nutzen die Kultur lediglich, um ein Investoren freundliches Image zu entwickeln. Und dafür werden wie bspw. beim Freiraumlabor mehr als100.000,- Euro aufgewendet, während soziale & kulturelle Einrichtungen am Bettelstab laufen. Wo umgestaltet, investiert und neu gebaut wird, steigen unweigerlich die Mieten & die Preise.

Gegen diese Prozesse gibt es aber immer auch kulturellen Widerstand. So wird z.B. um die Identität und die Kultur genau so wie gegen die Aufwertung des Hasselbachplatzes gekämpft. Mit seinen Bars & Treffpunkten ist er lange ein Ort für alle Menschen gewesen.

Bad Kids- Feiern gegen Aufwertung & Verdrängung

Kneipenkultur und Geselligkeit haben jedoch ihren Preis. Als sich dann zunehmend die Jugend von diesem Angebot angesprochen fühlte, traten schnell die Biedermeier auf den Plan. Von Alkoholverboten, dem abschalten von WLAN-Hotspots bis zum Abbau von Sitzgelegenheiten hat die Stadt alle Register gezogen, um die Lage in ihrem Sinne zu beruhigen. Sie wollen die Gestaltung und Außenwirkung dieses prestigeträchtigen Treffpunktes Magdeburg nicht allein ihren BesucherInnen überlassen, sondern haben konkrete Vorstelllungen über das Image des Hasselbachplatzes. Deshalb gibt es nun auch die Stelle des „Hasselbachplatz Managers“, um als Stadt auf die Entwicklung direkten Einfluss nehmen zu können. Vom Bürgermeister Trümper bis zu AfD Fraktion im Landtag hatte jeder eine Meinung zum Thema Hasselbachplatz. Über permanente Lärmbelästigung der AnwohnerInnen bis zum Kriminalität Hot-Spot,wurde dabei viel stigmatisiert. Es wurde deutlich, Kneipen, Kultur, Umsatz und Spaß: Ja, aber bitte ohne Krach und Stress. Gegen diese verzerrten und einseitigen Diskurs gab es dann schließlich Gegenwind. Kulturelle selbstorganisierte Initiativen wie bspw. die BAD KIDS Party-Reihe oder andere kostenlose selbstorganisierte Konzerte, nahmen sich den Platz und thematisierten die Gängelung durch die Polizei, Aufwertung und Umgestaltung ihres Treffpunktes kulturvoll mit Musik & Party. Die Jugend hat also Europa gezeigt, „was wir in Magdeburg so alles MACHEN!“ Interessieren tut es aber niemanden.

Kultureller Klassenwiderspruch

Dass der ganze Kulturbetrieb & seine Begrifflichkeiten auch nur unsere Klassengesellschaft spiegelt und generell als wenig förderlich erscheint, lässt sich an einfachen Zahlen ablesen. Beim Corona Hilfsprogramm „Neustart Kultur“ der Bundesregierung werden ca 1 Mrd. Euro bereitgestellt, um die Kulturszene zu unterstützen. Zum Vergleich: Zur Bekämpfung der Corona-Krise in Höhe von 130 Mrd. Euro sind gerade einmal 0,77 Prozent für die Kultur. Und während große Veranstaltungs-Firmen von der Krise profitieren und insolvente Firmen & Unternehmen aufkaufen, kämpfen die Kleinen ums Überleben. Ganz im Sinne der europäischen Identität. Zum Vergleich: Allein die Lufthansa wurde mit einem Rettungspaket in einem Gesamtumfang von 9 Mrd. Euro unterstützt. Die Prioritäten der Bundesregierung sind eindeutig, aber die Kultur gehört definitiv nicht dazu.

Die Bewerbung Magdeburg2025 mit seiner Fokussierung auf Touristen & Stadtumgestaltung spiegelt ebenfalls im Regionalen den Klassenwiderspruch der Gesellschaft und die Identität eines unsolidarischen kapitalistischen Europa wider. Das kulturelle Europa welches Kultur Hot Spots wie Griechenland oder Italien aus Profitinteressen & Machtpolitik zu einem Armenhaus der Banken machen, während alle gerne in diesen Regionen Urlaub machen. Ein Europa welches sich als Wiege der Demokratie und kulturellen Reichtum sieht, aber gleichzeitig zuschaut wie 10 Tausende Menschen an ihren Grenzen im Mittelmeer ertrinken oder auf Europas Straßen betteln. Ist das unsere Europäische Identität, die da gestärkt werden soll? Für die wir zusammen stehen sollten? Offensichtlich schon, denn „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Magdeburg 2025 ist eine Imagekampagne für Investoren & Touristen all die, die sich in Europa Kultur überhaupt leisten können oder sich überhaupt für sie interessieren.

BRANDBRIEF
Der Clubwirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt

Kultur aber muss für alle sozialen Schichten zugängig sein, damit sie auch auf breite Akzeptanz stößt. Kultur muss mehr sein als ein Image oder eine Marke, um Touristen und Investoren anzulocken. Und sie sollte nicht aus Profit-Interessen politisch instrumentalisiert werden. Doch das tut die Kampagne. Sie ruft zu einem großen „Wir“-Gefühl auf, welches nicht von der Masse der Menschen geteilt wird. Und das ist gut so. Die Kampagne entpuppt sich als isoliertes Projekt fernab der Lebensrealität der Bürger der Stadt Magdeburg.

Anstatt weiter auf Prestigeprojekte wie die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Magdeburg2025 zu setzen, sollten die Landesregierung und die Stadt Magdeburg lieber versuchen bspw. den Brandbrief der Clubszene, welche im Angesicht der „Corona-Krise“artikuliert wurde, ernstzunehmen und sie praktisch und unkompliziert finanziell zu unterstützen. Das würde die Kultur und Identität in und mit Magdeburg wirklich fördern.

Wir benötigen dringend und zeitnah folgende Hilfen:

-Übernahme der betrieblichen Fixkosten zu 100%

-einen angemessenen Unternehmerlohn

-eine Ausfallentschädigung für entgangene Umsätze aufgrund der Betriebsverbote

-eine Erstattung der bereits getätigten Investitionskosten für die geplante Wiedereröffnung am –1.11.2020 “

BRANDBRIEF Der Clubwirtschaft des Landes Sachsen-Anhaltan den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister des…

Gepostet von Clubwirtschaft Sachsen-Anhalt am Sonntag, 18. Oktober 2020