Von: Jannik Schuhmacher
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hat in der vergangenen Woche in Aschersleben fast 300 neue PolizeianwärterInnen ernannt. Zuvor waren 540 neue Polizeibeamte nach Abschluss ihrer dreijährigen Ausbildung offiziell an der Landespolizeischule eingestellt worden. Damit hat die Polizei in Sachsen-Anhalt trotz Imageproblemen die Zielvorgabe für die Zahl der Neueinstellungen erreicht.
Das Image der Polizei in Sachsen-Anhalt ist seit langem angekratzt. Der Mord an Oury Jalloh in Dessau wurde nie offiziell aufgeklärt. Massive Übergriffe von Polizeibeamten haben keine strafrechtlichen Konsequenzen. Es gibt immer wieder Vorfälle mit Polizeischülern in Aschersleben. Kandidaten wurden wiederholt mit Rauschgift erwischt. Der Höhepunkt war ein Einbruch mit anschließendem tödlichen Unfall eines Polizeischülers in Halle. Erst kürzlich wurde bekannt, dass seit 2016 24 Ermittlungen gegen Polizisten im Land wegen des Verdachts auf unbefugten Datenzugriff laufen.
Kritische Beiträge untergraben Deutungshoheit
Es ist seit langem bekannt, dass die konventionellen Medien immer weniger junge Menschen erreichen, die ihre Informationen weitgehend über so genannte Social Media beziehen. Dementsprechend hat die Polizei nicht mehr die alleinige Deutungshoheit über gesellschaftliche Ereignisse (vor allem, wenn sie involviert sind), denn die meist eins zu eins übernommenen Pressemitteilungen der Polizei werden durch kritische Beiträge in den so genannten Social Media ergänzt.
Folglich fallen nicht alle auf das propagierte Bild der Polizei als „Freund und Helfer“ herein, mit dem die Gewalt der bürgerlichen Herrschaft stets zu verschleiern versucht wurde. Dies zeigte sich z.B. in der breiteren Diskussion über den Korpsgeist bei der Polizei. Inzwischen musste Sachsen-Anhalt, wie auch einige andere Bundesländer, sogar eine (begrenzte) Kennzeichnungspflicht für Polizisten einführen. Das Bedürfnis der Behörden, die einzig richtige Sichtweise des polizeilichen Handelns zu verbreiten, hat dazu geführt, dass die Polizei zumindest auf Twitter und anderen Plattformen, parallel zu kritischen Beiträgen, seit langem ihre eigene Interpretation veröffentlicht. Solche Postings sind bereits mehrfach als gefälschte Nachrichten entlarvt worden.
Image- und Nachwuchsprobleme
Neben dem Imageproblem gab es niedrigeren Geburtsjahrgängen auch ein Nachwuchsproblem. Es wurde diskutiert, eine Karriere bei der Polizei für Frauen und Migrantinnen attraktiver zu machen. Darüber hinaus wurde die Senkung der hohen sportlichen Mindestanforderungen ins Spiel gebracht. In Sachsen-Anhalt startete das Innenministerium im August 2017 mit Hilfe einer Berliner Werbeagentur die Kampagne „Nachwuchsfahnung“, um mehr Bewerberinnen und Bewerber zu gewinnen.
Die Werbekampagne mit Plakaten und Videos versucht, Jugendliche für eine Ausbildung bei der Polizei zu interessieren und die Polizei als normalen Beruf mit guter Verdienstmöglichkeit darzustellen. Mittlerweile gibt es Nachwuchswerbekanäle in verschiedenen sozialen Netzwerken aus unterschiedlichen Bundesländern. Dazu gehören Video-Serien auf Yotube und Podcasts. Zumindest in Sachsen-Anhalt scheint die Werbung Früchte zu tragen, die angestrebte Zahl der Neueinstellungen ist erreicht.
Kräftige Polizeiwerbung mit Lea und Linda
Es ist auffällig, dass in letzter Zeit immer mehr Inhalte mit weiblichen Polizisten auftauchen. Lea Mucke aus Barby war die 700. Bewerberin, die ein gewisses Medieninteresse erhielt. Der Mitteldeutsche Rundfunk berichtete mehrfach über sie und leistete damit Öffentlichkeitsarbeit für die Polizei. Da der MDR aber nicht unbedingt die jüngere Zielgruppe erreicht, wollten sie auf Instagram präsent sein, um potenzielle Auszubildende zu erreichen.
Auf der zu Facebook gehörenden Plattform sind (angehende) Polizeibeamte unter Benutzernamen wie frau_kommissarin, ruhrpott_polizistin oder polizeimeisterin_linda aktiv. Im Gegensatz zu anderen Instagram-Nutzern geht es in den Beiträgen nicht nur um Lifestyle wie Kleidung oder Essen. Ihr Hauptzweck ist es, den „Beruf“ der Polizeibeamten zu fördern und die Tätigkeit bei den Cops in ein gutes Licht zu rücken. Linda Horvath begann ihre Ausbildung im März 2018 und ist ebenfalls seit kurzem im Dienst. Sie postet(e) fleißig von der Polizeischule in Aschersleben, vom Balkon ihrer Blockwohnung in Magdeburg-Stadtfeld oder von der Bibliothek der Universität Magdeburg, in der sie sich auf Prüfungen vorbereitete. Die 22-Jährige beantwortet auch Fragen anderer NutzerInnen wie „Gibt es in deinem Bundesland noch den mittleren Dienst als Polizeibeamter?“ oder „Habt ihr schon die neue Dienstwaffe Glock 46 in der Ausbildung?“.
Polizist≠Mensch
Auch auf Ihrem Profil zu finden: Inhalt des rechten Polizei-Lobbyseite „Polizist = Mensch“. Linda wurde vor einiger Zeit auf dieser Website vorgestellt. Ansonsten gibt es dort eine Vielzahl von Inhalten, die sich auf die Welt der Polizei beziehen. Struktureller Rassismus in der Polizei wird dort natürlich geleugnet, während das Berliner Antidiskriminierungsgesetz beklagt wird. Immer mit folgendem logischen Widerspruch: Die Welt da draußen ist gefährlich, und es gibt viele Kriminelle, die als Exekutive mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt werden müssen. Gleichzeitig wäre man gerne auch noch Legislative und fordert härtere Strafen. Doch wenn sich das „polizeiliche Gegenüber“ verteidigt oder die Polizei als Exekutive angegriffen wird, sind die Polizisten plötzlich nur noch normale Menschen, oft mit Familie, die einfach nur „sicher nach Hause kommen“ wollen.
Wie auch immer, Linda Horvath findet ihren Job spannend, die Kollegen sind nett und alles ist neu und aufregend. Mal sehen, wie lange noch. Mittwoch beginnt endlich die Tätigkeit auf der Dienststelle. Die Polizeiproganda bei Instagram soll auch nach Ausbildungsende weitergehen.
Quelle: https://de.indymedia.org/node/103926