cottbus Cottbus Solidaritätsnetzwerk

„Das Problem ist, dass im Kapitalismus wir ArbeiterInnen nicht die Machtposition haben“

Sarah ist Teil des Solidaritätsnetzwerks Cottbus, das sich zum Ziel gesetzt hat ArbeiterInnen anhand ihrer Interessen zu organisieren. Megaphon hat Sarah nach der aktuellen Lage in Cottbus sowie zu den Widerstandsmöglichkeiten in Zeiten des pandemischen Ausnahmezustands befragt.

Hallo Sarah. Du bist Teil des Solidaritätsnetzwerks in Cottbus, das solidarische Nachbarschaftshilfe in der Krisenzeit organisiert. Was tut ihr vor Ort, um den Menschen zu helfen und wie werden eure Angebote angenommen?

Hallo! Als klar wurde, dass sich Corona auch in Deutschland verbreiten würde, gab es in den sozialen Medien unter dem Hashtag #nachbarschaftschallenge Aufrufe, seinen NachbarInnen anzubieten, für sie einkaufen zu gehen, wenn diese sich schützen wollen.

Das haben wir aufgegriffen und als Solidaritätsnetzwerk kleine Listen mit dem Aufruf, sich als HelferIn einzutragen, an Hauseingängen verklebt. Glücklicherweise gibt es aber danach bisher in Cottbus kaum Bedarf. Offiziell sind in unserer Stadt bisher nur 32 Personen positiv auf Corona getestet worden. Außerdem haben die wenigen sozialen Träger, die noch nicht dicht gemacht haben, mittlerweile auch angefangen, solche Angebote zu machen. Damit wollen und können wir nicht konkurrieren. Wir denken, dass es was anderes und eigentlich besser ist, wenn NachbarInnen sich direkt helfen, als wenn es irgendwelche SozialarbeiterInnen tun.

Habt ihr euch auch bereits vor der Corona-Krise zusammengeschlossen und was sind eure Ziele? Wie wollt ihr eure politischen Forderungen angesichts von Kontaktbeschränkungen unter die Bevölkerung bringen?

Ja, das Solidaritätsnetzwerk gibt es nun seit etwas mehr als zwei Jahren. Von Anfang an auch in Cottbus. Unser Ziel ist, dass sich ArbeiterInnen eigenständig für ihre Interessen organisieren und diese selbst durchsetzen. Wir wollen durch unsere Arbeit das Stellvertreterdenken durchbrechen. Manchmal sagen wir, wenn wir uns vorstellen: Wir sind die Organisation für alle, die erkannt haben, dass ihnen Staat, PolitikerInnen und Gerichte nicht bei ihren Problemen helfen werden.

Wir haben als Solidaritätsnetzwerk zwölf Forderungen entwickelt, die unserer Meinung jetzt unbedingt verbreitet und durchgesetzt werden müssen. Diese Forderungen haben wir auf Zettel gedruckt und einfach in der Stadt verklebt. Auch die Supermärkte und Warteschlangen vor den Supermärkten stellen eine Möglichkeit dar, mit zunehmend genervten CottbuserInnen ins Gespräch zu kommen. Zuletzt finden wir es wichtig, in dieser Situation auch in den Betrieben zu sein. Diejenigen von uns, die arbeitslos waren oder ihren Job jetzt aufgrund der Wirtschaftskrise verloren haben, versuchen sich schnell neue Arbeit zu suchen, teilweise in der sogenannten „kritischen Infrastruktur“ – das gewährt wenigstens einen kleinen Rest an Bewegungsfreiheit.

Zuletzt haben wir einen Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit ins Internet verlegt. Als Solidaritätsnetzwerk machen wir jetzt jeden Sonntag einen Livestream, wo wir über aktuelle Fragen diskutieren. Den kann man über Youtube, Facebook oder Twitter verfolgen.

Cottbus ist selbst für den Osten eine überdurchschnittlich arme Stadt. Welche Möglichkeiten seht ihr, gegen die Armut in eurer Stadt vorzugehen?

Das ist eine ziemlich komplizierte Frage, darüber denken wir auch viel nach. Ein grundlegendes Problem ist erst mal, dass im Kapitalismus wir ArbeiterInnen nicht die Machtposition haben, den Unternehmern zu sagen, was und wo sie investieren sollen und der kapitalistische Staat es logischerweise nicht als seine Aufgabe sieht, eine ausgeglichene ökonomische Entwicklung im Land sicherzustellen. Das Kapital fließt dahin, wo es sich die höchsten Profite verspricht. Momentan wird in der Region viel über den „Strukturwandel“ diskutiert, da nun auch noch die Braunkohle als letzte größere Industrie wegfallen soll. Da ist von großen Geldsummen die Rede, die Uni soll ausgebaut werden. Nur: Die Region wieder industrialisieren wird man so nicht.

Vor ein paar Monaten hat die Bundesregierung den Ausbau der Zugstrecke nach Berlin gestoppt, weil sie dieses Projekt für „nicht gesamtwirtschaftlich vorteilhaft“ hält. Daran kann man trotz aller Versprechungen die reale wirtschaftliche Position der Region ablesen. Auch wenn der Kapitalismus dafür keine Lösung zu bieten hat, von steigenden Löhnen, die hier in der Pflege oder in den Callcentern auch besonders niedrig sind, würden wir natürlich profitieren. Das wird sich jedoch nicht alleine in Cottbus oder Ostdeutschland durchsetzen lassen, wir brauchen eine starke ArbeiterInnenbewegung im ganzen Land.

Geht ihr davon aus, dass sich in Deutschland die Ausgangs- und Kontaktverbote verschärfen könnten und auch eure Nachbarschaftshilfe kriminalisiert werden könnte? Habt ihr euch vielleicht mal von einem Anwalt beraten lassen?

Mit einem Anwalt haben wir nicht gesprochen. Ab und zu kann man ja gerade auf den hinteren Seiten der Zeitung ganz vorsichtige Kommentare von irgendwelchen JuristInnen lesen, die sagen, dass fragwürdig ist, ob das gerade alles so ganz verfassungskonform ist. Unser Eindruck ist, dass das aber gerade ziemlich egal ist.

Wir gehen deswegen fest davon aus, dass wir in dem Maße kriminalisiert werden, in dem wir politische Positionen auf die Straße tragen. Auch in Brandenburg sind Versammlungen gerade grundsätzlich verboten. Die einzige Ausnahme stellen die Versammlungen in den Parlamenten dar. Aber wir sind nicht bereit, das zu akzeptieren und suchen nach Möglichkeiten, das Kontaktverbot zu durchbrechen. Wichtiger als die juristische Frage ist dabei aber wahrscheinlich, wie sich die Stimmung unter den CottbuserInnen entwickelt und wie lange die noch bereit sind, die faktische Ausgangssperre hinzunehmen.

Gibt es Anlaufpunkte, die ihr Menschen in Cottbus (vielleicht auch Brandenburg), die Interesse daran haben, sich in Zeiten der Pandemie ebenfalls solidarisch zu engagieren, ans Herz legen könnt? Stehen Projekte an, an denen sich BürgerInnen beteiligen können?

Die bittere Realität in Cottbus ist, dass alle einigermaßen linken oder alternativen Orte dicht gemacht haben oder sich abgeschottet haben aus Angst vor einer Ausbreitung des Virus. Das heißt aber nicht, dass die entsprechenden Leute aus der Welt sind. Uns und andere kann man nach wie vor kontaktieren und wir können momentan auch digital oder physisch kleine Treffen organisieren. Brandenburg ist nicht gerade die Hochburg der politischen Widerstandsbewegung in Deutschland. Aber es gibt doch einige Orte, in denen Solidarität und vielleicht sogar solidarischer Widerstand gegen das momentane Vorgehen der Regierung organisiert wird. In Finsterwalde gibt es mit der Proletarischen Autonomie und einigen anderen Strukturen gute Ansätze für solidarischen Widerstand.