Von Emily Williams –
Seit 1998 nutzen Nazis den Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar 1945 für neonazistische Propaganda. Bis zu 1.200 Faschisten marschierten im Januar 2012 durch Magdeburg. Organisiert wurden diese Massenaufmärsche von der neonazistischen „Initiative gegen das Vergessen“ um den ehemaligen JN-Bundesvorsitzenden Andy Knape, jetzt Hoffmann. Um uns diesen Aufmärschen in Form von Blockaden aus Menschenmassen entgegenzustellen, hat sich im Sommer 2012 das Bündnis Magdeburg Nazifrei gegründet. Magdeburg Nazifrei ist der Inbegriff eines selbstorganisierten radikalen Pragmatismus. Mit viel Aufwand und Arbeit ist es dem Zusammenschluss der linksradikalen, revolutionären und antifaschistischen Strukturen in Magdeburg über Jahre hinweg gelungen, den Naziaufmarsch im Januar zu einem bedeutungslosen Ereignis schrumpfen zu lassen. Aber auch für den 76. Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs rechnen wir mit Naziaktivitäten.
Naziaufmärsche verhindern
Bereits in den Vorjahren zeichnete sich ab, dass mit einer offensiven Mobilisierung zu Blockaden und einem aktivistischen Protestgeschehen vor Ort, der Ablauf der Aufmärsche empfindlich gestört werden kann. Jeder blockierte Aufmarsch bedeutet weniger Teilnehmende beim nächsten. Offensichtlich war auch, dass diese Mobilisierungen von linken und antifaschistischen Kräften geleistet werden müssen. Die Zivilgesellschaft versagte komplett. Ein demokratiepolitisches Volksfest in der Innenstadt stört keinen Naziaufmarsch in der Nebenstraße. Naziaufmärsche zu blockieren, ist aber immer nur ein – wenn auch besonders präsenter und deutlich wahrnehmbarer – Teil antifaschistischer Aktion. Gerade das Aufkommen der Pegida-Bewegung im Januar 2015 auch in Magdeburg hat uns gezeigt, dass keine historischen Ereignisse durch Nazis mehr instrumentalisiert werden müssen, um mehr als 1000 Menschen für eine rechte Mobilmachung auf die Straße zu bringen. Die Wahlerfolge der AfD veränderten die politischen Kräfteverhältnisse nachhaltig.
Immer wieder gelingt es der rechten Szene mehrere hundert Menschen auf die Straße zu bringen und auch sichtbare Präsenz in der Stadt zu etablieren. Mit dem Einzug der AfD in den Magdeburger Stadtrat und den Landtag von Sachsen-Anhalt und mittlerweile sogar den Bundestag, hat sich nicht nur die Bedeutung der politischen Rechten verändert sondern auch einen lange unbearbeiteten und totgeschwiegenen Konflikt der politischen Linken mit der Zivilgesellschaft offengelegt: Zu jedem Demonstrationsgeschehen der Rechten reiben sich zwei widerstreitende Fraktionen im Protest: Die eine Fraktion, ich nenne sie die „autoritären Demokrat_innen“, erklärt der Fraktion des radikalen Pragmatismus, dass ihr Aktivismus falsch ist. Egal worum es geht, allein die autoritären Demokrat_innen wissen, was richtig und was falsch ist. Und sogar dann, wenn ihre Idee offensichtlich überhaupt nicht funktioniert, werden die radikalen Pragmatiker_innen noch als Störenfriede beschimpft. Bedingungsloser Gehorsam unter die Regeln der autoritären Demokratie, ist die Forderung und Grundlage der Teilhabe. Sei es durch eine abverlangte Demokratieerklärung, das Bekenntnis zum Gewaltverzicht oder durch das Einschwören auf bestimmte Aktionsformen. Nur wer sich an die Regeln hält, wird auch als Teil des Prostestgeschehens anerkannt.
Naive Hoffnungen
Als in Magdeburg im Januar 2012 über 1.200 Nazis durch die Innenstadt marschierten, fand in der Innenstadt die 4. Meile der Demokratie statt und wieder wurde jede Passant_in auf dem Weg ins Karstadt als Retter_in der Demokratie vereinnahmt und zu den tapferen Kämpfer_innen gegen den Terror der Rechten gezählt. Jede Meile der Demokratie bis dahin war ein „voller Erfolg“. In jedem Jahr. Dafür war die Lage auch sehr günstig: Samstag morgen auf einer Hauptverkehrsstraße, in Richtung der einzigen, innerstädtischen Flanier- und Shoppingmöglichkeiten und direkt vor den Türen der größten Einkaufszentren ein paar Buden aufzustellen und demokratiepolitische Bildung anzubieten, verspricht regen Zulauf. Menschen müssen da lang zum Einkaufen. Mehrere zehntausend Menschen wurden so zum Faustpfand der autoritären Demokrat_innen, die den radikalen Pragmatiker_innen erklärten, dass jeder Aktivismus darüber hinaus unnötig und wahrscheinlich sowieso viel zu gefährlich sei. Die Meile der Demokratie galt nämlich auch als ein niedrigschwelliges, buntes Angebot für jung und alt, denen Kontakt zu Nazis nicht zuzumuten sei – aus welchen Gründen auch immer und wie auch immer, denn viele der als „Trauermarsch“ Auflaufenden waren ohnehin Nachbarn und Kollegen. Aber die Meile der Demokratie galt als Symbol gegen Rechts allen als ausreichend. Die Nazis müßten nur verstehen, wie schön die Demokratie ist und würden begeistert mitmachen wollen, so die Hoffnung der autoritären Demokrat_innen. Doch die Nazis blieben vom stationären Volksfest in der Innenstadt komplett unbeeindruckt und marschierten dann eben woanders.
Möglich war das ungestörte Aufmarschieren, weil von den Rechten stets mehrere Routen angemeldet waren, so dass selbst versuchte Störungen auf einer Route sofort Ausweichrouten bot und die Verlegung des Aufmarschs eingefordert werden konnte. Die Polizei fühlte sich als Versammlungsbehörde zur Umsetzung des Aufmarschgeschehens verpflichtet. Jahrelang ruhten sich die autoritären Demokraten auf einem Mangel an Informationen aus und warfen der Polizei auch dabei fehlende Kooperationsbereitschaft vor. Als würde die Versammlungsbehörde je dabei mitarbeiten (müssen), angemeldete Demonstrationen zu verhindern. Mit derart absurden Vorwürfen sollte das eigene Versagen und der Mangel an Ideen und Kreativität kaschiert werden. Erst das Konzept der Dezentralisierung der Gegenproteste brachte den Durchbruch im Protestgeschehen und konnte dann auch ab 2015 den Meile-Organisator_innen als Konzept aufgedrängt werden. Um überhaupt erfolgreich einen Aufmarsch zu be- oder gar verhindern, war also stets notwendig und erste Voraussetzung über die etablierten Vorgaben der Zivilgesellschaft zum legitimen Protest hinaus zu denken.
Dem aggressiven Gruppenerlebnis in der Präsenz durch ein gemeinsames, geschlossenen Auftretens der Faschos schadete die Meile der Demokratie nicht. Im Gegenteil: Die ungestörte Gegnerschaft zur Zivilgesellschaft, die das Aufmarschgeschehen sowieso nicht tangierte, diente den Faschos noch als Grund für Zusammenhalt, um in kollektiver Opposition zur handzahmen Bürgerschaft die Reihen geschlossen zu halten. So kam es, wie es kommen mußte: Bis 2012 versammelten sich immer mehr Nazis zum Januaraufmarsch in Magdeburg.
Radikaler Pragmatismus
Mit Magdeburg Nazifrei haben wir als radikale Linke zumindest von 2012 bis 2016 eine bemerkenswerte Präsenz in Magdeburgs Prostestgeschehen etablieren können. Bereits im Herbst des Vorjahres zum bevorstehenden Naziaufmarsch begann die Planung für die Finanzierung der Aktionen, die personelle Aufstellung und die Eckdaten der Mobilisierung. Die ersten Plakate, Flyer und das Infomaterial gingen in den Druck. Es wurden Mobivideos & Filme produziert und Solikonzerte organisiert. Der Aufruf war fertig, es wurden Unterschriften gesammelt. Die Webseite wurde neu aufgestellt. Zur Planung der Aktionen mußten Daten erhoben und mögliche Aufmarschrouten und Szenarien durchdacht werden. Eine Gruppe Aktiver zerbrach sich über Monate aus freien Stücken und ohne jede Bezahlung den Kopf, wie im kommenden Jahr dem Januaraufmarsch zu begegnen sei. Das war viel ehrenamtliche Arbeit, die einige von uns bis in den Burnout trieb. Alle, die auf die eine oder andere Weise daran beteiligt waren, werden das nie vergessen.
Unvergessen sind aber auch die internen Vetos der parteipolitisch organisierten Aktiven, wenn etwas dazu geeignet sein könnte, das Bürgertum zu verschrecken und der Ehrgeiz, mit dem radikaler Pragmatismus bekriegt wurde. Unvergessen sind die pathetischen Bündnisaustritte, weil ihnen mal wieder irgendetwas gegen den Strich ging. Bevor es dann zur Spaltung von Magdeburg Nazifrei kam und sich Ende 2013 blockmd, als DIE gewaltfreie Alternative, gründete. Unvergessen sind aber auch die Nichtkooperationsbeschlüsse der zivilgesellschaftlichen Initiativen wie dem Bündnis gegen Rechts (BgR) und blockmd und die nachhaltige Verweigerung eines wichtigen und notwendigen Informationsaustausches. Unvergessen bleibt auch der fehlende Support für alles, was über Bierzeltgarnituren unter Pavillons hinausging. Weder blockmd noch das BgR waren besonders hilfs- oder auch nur kooperationsbereit. Unvergessen sind alle Boykottaufrufe und parallel organisierte Events und das Beanspruchen der Deutungshoheit sowie das Scheitern der vollmundigen Meile-Pläne an der Wirklichkeit und das Versagen in der Praxis. Damals lernten viele Antifas, dass es mit dieser Zivilgesellschaft keine Kooperation geben kann.
Autoritäre Demokratie
Das gesamte Meilen-Konzept war von Anfang zum Scheitern verurteilt und wurde spätestens dann selbst von den Organisierenden als Fehler erkannt, als die AfD (und damit auch die Köpfe der Aufmarschorganisation des „Trauermarschs“) schon mit 24,3 % im Landtag saßen. Nach dem es im Januar 2016 in Magdeburg keinen Naziaufmarsch mehr gab und der Einzug von Nazis in die Parlamente bereits absehbar war, löste sich im Sommer 2016 das Bündnis Magdeburg Nazifrei auf. Es war allen klar, dass die Zivilgesellschaft – allen voran das BgR und blockmd – keine Antworten auf Nazis in den Parlamenten haben werden. Alle sind zwar immer noch gegen Rechts, vor allem gegen die AfD, aber sie wissen nicht mehr wie Widerstand funktioniert. Es kam wie es kommen musste: Die AfD beanspruchte im Januar 2018 ihren Stand auf der Meile der Demokratie und bekam ihn auch. Damit war das Meile-Konzept als Maßnahme gegen Rechts, als Reaktion auf den Naziaufmarsch, auch offiziell gescheitert. Der Verein „Miteinander“ und andere zogen sich wegen der Teilnahme der AfD im Januar 2018 von der „Meile“ zurück. Im Oktober 2018 gründete sich eine neue Allianz gegen Rechts, die Initiative „Weltoffenes Magdeburg“. Die Initiative ist ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteur_innen, die sich laut Selbstdarstellung „gemeinsam für eine vielfältige, demokratische Stadtgesellschaft, für Weltoffenheit und Toleranz engagieren“. Angesichts der Zerstörung Magdeburgs im Januar 1945 soll während einer Aktionswoche vom 16. bis zum 27.01.2021 unter Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters an die „Verantwortung aller Generationen für Frieden und Menschlichkeit“ erinnert werden. Im Dezember 2018 war der Magdeburger Volksstimme zu entnehmen, dass es im Januar 2019 keine weitere Demokratiemeile mehr geben wird. Im Streit um die Teilnahme der AfD brach das Bündnis der Meile-Organisierenden auseinander. Dafür unterstützt die Stadt Magdeburg die Initiative „Eine Stadt für alle – weltoffenes Sachsen-Anhalt“ nun finanziell. Für eine Aktionswoche wurden 8.000,- Euro bereitgestellt. Diese Summe wurde im Stadtrat fast einstimmig beschlossen. Das ist derselbe Betrag, der bislang für die „Meile der Demokratie“ zur Verfügung gestellt wurde. In der Antragsbegründung heißt es, der Stadtrat unterstütze das neue Bündnis dabei, „eine rechtsextreme und rechtspopulistische Vereinnahmung der Magdeburger Geschichte zu verhindern“. Das Konzept zur Aktionswoche scheint der Meile ähnlich: Selbstorganisierte und selbstfinanzierte Aktionen werden dort angemeldet und unter dem Label zusammengefasst. Es ist ein Geben und Nehmen: Einzelne fühlen Verantwortung, reißen sich den Arsch auf und der Oberbürgermeister vereinnahmt die Aktionen als Kampf gegen Rechts. Neu ist lediglich, dass die Aktionen dezentral ohne gemeinsames Auftreten anzumelden sind und die Teilnahme von einem Sprecher*innen-Rat genehmigt werden muss. Durch die Genehmigungspflicht soll vermutlich die Präsenz von Nazis unter diesem Label verhindert werden.
Es bleibt zu hoffen, dass der Frust darüber, mit welchem Ehrgeiz, tatsächlich Erfolge ausweisende Konzepte, wie z.B. Aufmarschblockaden, denunziert und ignoriert wurden, irgendwann abgebaut werden kann und nicht zu lange fortdauert. Verzeihen wir den autoritären Demokraten irgendwann ihren Unfug, die Hetze, die Verweigerungen, die Ausladungen, die Boykottaufrufe und konzentrieren uns wieder auf das Wesentliche: Die politische Rechte ist so stark und selbstbewusst wie schon lange nicht mehr. Konzepte und Strategien zum Zurückdrängen gibt es derzeit keine. Das ist definitiv nicht unsere Schuld, aber gegen eine Mauer aus klugscheißenden autoritären Demokrat_innen ist radikaler Pragmatismus nur schwer zu verteidigen ohne dabei selbst zynisch zu werden.
Fazit
Aus den Konflikten der Vorjahre lernend, haben wir uns in diesem Jahr entschieden, eine Aufmarschblockade bei der Initiative „Weltoffenes Magdeburg“ form- und fristgerecht anzumelden. Immerhin wird Kooperationsbereitschaft in Aussicht gestellt. Der Sprecher*innen-Rat wird demnächst über unseren Antrag entscheiden.
Wir hoffen auf Genehmigung.