Ich bin Mohammed Alattar (Mo.Anker). Ich bin Palästinenser und komme aus dem Gazastreifen.
2015 bin ich nach Deutschland gekommen. 2023 beendete ich meine Berufsausbildung im Hamburger-Hafen und bin seit dem festangestellt und ein Mitglied bei der Gewerkschaft Ver.di. 2023 war ich seit meiner Ankunft in Deutschland, das erste und letzte mal zu Hause in Gaza. Am 06.02.2024 hat die israelische Besatzungsarmee meinen Bruder Abood ermordet. Er war 33 Jahre alt, verheiratet und hinterläßt drei Kinder. Anfang Mai 2024 hat die israelische Besatzungsarmee das Haus meiner Familie im Gazastreifen dem Erdboden gleich gemacht. All meine Musikinstrumente, die Bibliothek meines Vaters (mit über 5000 Büchern), alle Fotos und Erinnerungen, alles weg.
Ich habe über 80 Personen meiner Familie und über 130 meiner Freunde, Nachbarn und ehemaligen Kollegen verloren. Seit dem erleben meine Eltern einen Horror an Zerstörung, Verlust, körperlicher und psychischer Krankheit, verursacht durch die israelische Besatzungsarmee. Durch diese Aggressionen wurden 90 Prozent meines gesamten Lebens vor 2015 beschädigt und ausgelöscht: Menschen, Straßen, Wege, Orte, Eigentum. Das macht mich zu einem Menschen ohne wirkliche Erinnerung an die Ursprünge und Gefühle meines früheren Lebens.
Ich bin zu einem Moment gekommen, an dem ich dachte, es lohnt sich nicht mehr zu leben, dann habe ich in die Augen meiner kleinen Tochter geschaut, wie sie mir einen Satz von einem palästinensischen Poeten, Mahmoud Darwish sagte (sie hat den Satz in den letzten Tagen auf arabisch geübt), übersetzt bedeutet er „Auf dieser Erde gibt es etwas, wofür es sich zu leben lohnt“, da bin ich wieder aufgewacht und der Kämpfer in mir wurde wieder zurück ins Leben gerufen.
Dann habe ich mir gedacht, ich schreibe meiner Gewerkschaft Ver.di weil mir klar ist, welche Rolle, Verantwortung, und politische und gesellschaftliche Position eine Gewerkschaft hat. Ich habe somit an meine Gewerkschaft appelliert, andere Genoss:innen haben meinen Appell weitergeleitet, versuchten Aufmerksamkeit von der Gewerkschaft Ver.di zu bekommen, jedoch keine Chance, nur volle Ignoranz und Schweigen.
Am 24. Februar, habe ich dann meine gesamte Geschichte aufgeschrieben und habe sie an meine Gewerkschaft Ver.di geschickt. An mehrere Stellen gleichzeitig innerhalb der Ver.di, an die Verwaltung, an verschiedene Vertrauensleute, in verschiedenen Bereichen, doch kam nichts zurück, nur Ignoranz und totales Schweigen.
Erst nach einem Monat, am 20.3.2025 habe ich, nach wiederholter Nachfrage, eine Email von der Landesbezirksleiterin Ver.di Hamburg erhalten, in meinen Augen war diese Email heuchlerisch, opportunistisch und auf schüchterne, emotionale Solidarität begrenzt. Am 26.03.2025 habe ich dann meine Antwort auf diese Email geschrieben und habe verschiedene konkrete Fragen gestellt, legitime und normale Fragen. Jedoch wieder vergebens. Bis zum heutigen Tag stehen meine Fragen ignoriert, isoliert, diskriminiert, offen und unbeantwortet im Raum und werden nicht wahr genommen.
Anfang Juni 2025 war meine letzte Sitzung mit Ver.di, mit der Gruppe „Arbeitskreis Frieden“. Sie haben mir vorgeschlagen, ein Interview für die Ver.di-Zeitung zu geben. Ich habe das abgelehnt, weil das Leben von 70.000 Palästinenser:innen mehr wert ist als ein Artikel. Es braucht viel mehr Arbeit, Mühe und Aktionen – und keine Heuchelei und schüchterne Solidarität.
Die Missachtung meines Leids durch die Gewerkschaft Ver.di und ihr Schweigen angesichts der Katastrophen, die ich persönlich erlebe, und die mein Volk und der Rest meiner Familie Tag für Tag erleben, spiegeln dieselbe Missachtung und Isolation wider, die jüdische Menschen hier in Deutschland vor 80 Jahren erfahren mussten. Damals wie heute herrscht Schweigen. Die Geschichten ähneln sich, vielleicht unterscheiden sich Namen, Daten, Details und Interessen, doch die Katastrophe, ihre Ursachen und die Faktoren, die zu ihrem Entstehen und Fortbestehen führen, sind die Gleichen.
Hier, in einem Land, das eigentlich aus der Geschichte lernen sollte, wird Geschichte ignoriert und verdrängt. Gerade dieses Land, das am meisten aus seiner Vergangenheit hätte lernen müssen, wiederholt weiterhin die Fehler der Geschichte, in anderer Form, aber mit denselben Folgen. Ich bin mir bewusst, dass das Schweigen, die Missachtung und die Isolation, die ich heute erfahre, dem ähneln, was ein jüdischer erschöpfter Mann vor 80 Jahren in Hamburg erleben musste.
Ich weiß, dass ich zu einem Menschen ohne Erinnerungen geworden bin, ohne Freunde, ohne meine beiden Brüder, ohne unser Zuhause und ohne vieles mehr, was der Sadismus der israelischen Besatzung ausgelöscht hat.
Ich weiß, dass das Schweigen meiner Gewerkschaft Ver.di ein Teil dieses Albtraums ist. Es ist Mitverantwortung, Mittäterschaft und Unterstützung.
Ich weiß, dass keine Macht der Welt und kein Verbrechen dieser Erde den Kämpfer in mir brechen wird.
Ich weiß, dass ich weiterhin kämpfen werde – für meine Freiheit, die Freiheit meines Volkes und meine Rechte. Und ich werde kämpfen gegen Untätigkeit, Ignoranz, Schweigen und gegen die klare, offenkundige Mitschuld meiner Gewerkschaft an dieser Hölle, in der mein Volk und ich leben müssen. Meine moralische, menschliche und historische Pflicht ist es, diesen Kampf durchzuführen.
Ich plane bereits eine groß angelegte Kampagne mit Vernetzungstreffen, Veranstaltungen und Kundgebungen, auf denen ich von meinem Kampf gegen die Ignoranz und das Schweigen von Ver.di und meinen Erfahrungen als Palästinenser erzählen werde.
Meine Forderungen an Ver.di sind:
A. Anerkennung meines Leids und Verlust in Form eines solidarischen Brief von ver.di an mich
B. Klare Positionierung der Ver.di-Führung gegen den Genozid im Gazastreifen
C. Das Veranstaltungen und Events organisiert werden, wo verschiedene Arbeiter:innen in verschiedenen Bereichen über die Palästinenser:innen und Palästina sprechen können.
Ich werde auf die Straße gehen, laut sein und diese Missachtung, diesen Rassismus und die Diskriminierung, die ich von meiner Gewerkschaft erfahren habe, bekämpfen. Ich darf nicht alleine sein, ich muss nicht alleine sein, ich möchte nicht in mein Tagebuch schreiben, das ich alleine war. Ich rufe jeden freien Menschen auf, jede Organisation, jede Gruppe, alle Vereine, alle Arbeiter:innen, alle Freiheitskämpfer:innen, alle Menschen mit einem Herzen und einem Verstand, die genug von der Geschichte gelernt haben, ich rufe euch alle auf, eure Solidarität zu bekommen, eure Stimme und eure Unterstützung.
Mo – Hamburg
Juli – 2025
Unterschreibe, wenn du zustimmst!