Femonationalismus – was ist das?


Am 8. März 2024 demonstrierten ca. 8 000 Menschen unter dem Label „feminism unlimited“ in Berlin. Die „all gender“-Demo mit „Flinta-Frontblock“ galt den Organisierenden als Ausdruck ihrer Solidarität mit den Betroffenen patriarchaler Gewalt und „islamistischer Unterwerfung“. Besonderer Fokus galt dabei den jüdischen Frauen, die am 7.10.2023 „geschändet, vergewaltigt und getötet“ wurden. Jüdinnen werden angeblich mit einer Art „Anti-Solidarität“ verächtlich gemacht und verlacht. Die Demo beweise nun, dass es eine „große Solidarität“ mit jüdischen Frauen und Frauen in Israel gebe. Im Nachgang wird diese Demo in der linksliberalen Presse wohlwollend besprochen.

Nicht nur das verkürzte Verständnis des Begriffs Solidarität hinterlässt da Bitterkeit, sondern auch der implizierte Vorwurf, das Jüdischsein der Frauen sei die Ursache dieser „Anti-Solidarität“ innerhalb der politischen Linken.

Solidarität bedeutet aber eben nicht das bedingungslose Unterstützen der sympathischeren Opfer von Gewalt sondern der Support für eine emanzipatorische Idee. Der Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt ist selbstverständlich eine solche emanzipatorische Idee, hinter die sich antifaschistischer, linker Feminismus stellen muss. Aber eben nur dann, wenn Frauenrechte nicht nur vorgeschoben werden, um subversiv Rassismus zu transportieren.

Zur Debatte über den israelisch-palästinensischen Konflikt gehört das Wissen darüber, dass sexuelle Gewalt zwar Teil der israelischen Gewaltherrschaft über die palästinensischen Gebiete samt Bevölkerung ist, aber sexuelle Gewalt ist keine Strategie des palästinensischen Widerstands. Wir beobachten also die Instrumentalisierung von Frauenrechten und Gleichberechtigungsforderungen für eine rechte politische Agenda. Der genannte Topos, des stets zur (sexuellen) Gewalt bereiten, muslimischen Unterdrückers, wird von drei eigentlich sehr unterschiedlichen Gruppen genutzt:

1) Rechten,

2) weißen Feministinnen und

3) Neoliberalen.

Zweifellos kann frau – je nach Verhältnis zu Militanz als Strategie – den Gewaltausbruch am 7.10. und als Nichtbetroffene der israelischen Gewalt verurteilen oder auch nicht (Diskurs, Schwester!). Was aber nicht geht: Eine bei Rechten äußerst beliebte Erzählung zur Migrationsabwehr und Rechtfertigung rassistischer Gewalt unkritisch und ungeprüft (!) zu übernehmen und daraus einen moralischen Appell („Solidarität!“) an die politische Linke und den Feminismus formulieren. Die Erzählung der ungezügelten Sexualität der unterdrückerischen „Fremden“ dient dabei nur dem Zweck, für das genozidale Handeln eines Nationalstaates im Krieg zu werben und befeuert die Angst weißer Europäer_innen vor der „islamistischen Unterwerfung“ (O-Ton: feminism unlimited). Und das auf der Grundlage fehlender Beweise und als vermeintliches Novum in diesem Konflikt. Wobei die sexuelle Gewalt der vorverurteilten Hamas auch bestritten wird. Im Vorbeimarsch werden sonst für wichtig erachtete Prinzipien wie Unschuldsvermutung und Definitionsmacht der Opfer in den Schützengraben  geschmissen. Es gibt nämlich tatsächlich keine einzige Jüdin oder Israelin, die für sich beansprucht, am 7.10. das Opfer sexueller Gewalt der Hamas geworden zu sein. Dem bisher einzigen Versuch, einer Toten eine Vergewaltigung zu unterstellen, wird von der Familie widersprochen. Wenn also Definitionsmacht mehr ist, als politisches Instrument um politische Gegnerschaft zu begründen, sind Jüdinnen auch darin ernst zu nehmen, kein Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein.

Wir sehen also in der pro-israelischen Mobilisierung eine Instrumentalisierung von Frauenrechten im Namen des Feminismus, um antimuslimischen Rassismus zu manifestieren. Sara R. Farris hat die jüngsten Entwicklungen zusammengefasst und davon ausgehend das theoretische Konstrukt des „Femonationalismus“ eingeführt. Damit sind Diskurse, gesellschaftliche Strukturen und politische Einsätze gemeint, die die Frage der Gleichstellung der Geschlechter wie auch Rechte von Frauen für nationalistische, sexistische, rechtsradikale und antimuslimische Angriffe instrumentalisieren, um die Integration von Immigrant_innen und Muslim_innen zu vereiteln. Farris analysiert rassistisch gewendete Politiken in westeuropäischen Ländern. Gleichzeitig setzt sie sich damit auseinander, dass auch neoliberale Regierungen das Thema Frauenrechte einsetzen, um muslimische Migrant_innen zu stigmatisieren – und darüber bspw. weitergehende Verschärfungen des Asylrechts wie in Deutschland 2016 möglich gemacht werden. 1


So fügen sich rechtsradikale Nationalist_innen, feministische Intellektuelle und «Femocrats» zu einer Querfront zusammen und trommeln für die politische Rechte:

Zeitgleich zur bigotten und rassistischen Demo am 8. März in Berlin erscheint im Neuen Deutschland ein Artikel, der komplett schambefreit tatsächlich jeden Talking Point der gegenwärtigen femonationalistischen Mobilmachung bedient.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180582.israel-und-palaestina-oktober-freiheitskampf-widerstand.html

Die feministische Dimension des Femonationalismus beschreibt die vordergründige Verteidigung der Rechte von Frauen durch islamfeindliche Rechte, weiße Feministinnen und feministische Intellektuelle, die aber vor allem genutzt wird, um gegen Muslime und Muslimas zu mobilisieren, wobei der Islam generell als rückständige („barbarische“) Religion betrachtet wird. In Positionen, die dem Femonationalismus zuzurechnen sind, zeigen sich neokolonialistische Annahmen einer dominanten und aufgeklärten westlichen Kultur im Gegensatz zum vermeintlich unzivilisierten Umgang mit Geschlechterthemen in nicht-westlichen Ländern und Kulturen.2


Politischer Profiteur des Femonationalismus sind derzeit nicht die Frauen-  weder in Israel, noch Gaza oder in D – sondern die AfD.

„Problematisch ist dies, weil gezielt ausgewählte Aspekte des Feminismus als Mittel zum Zweck missbraucht werden, um den Haltungen zugrundeliegende Rassismen zu verschleiern. Dabei werden vor allem Vorstellungen von Gleichberechtigung genutzt, um darzustellen, dass muslimische Männer und nicht-westliche Migrant:innen im Allgemeinen nicht imstande seien, die Rechte von Frauen zu respektieren. Neben den erwähnten neu-rechten Parteien bedienen sich aber auch neoliberale Regierungen und bekannte Feminist:innen in Europa zunehmend dieses Narrativs.“ 3


Ausblick
Doch wie kommen wir aus der Nummer wieder raus? Wie damit umgehen, dass vermeintlich Linke und selbsternannte Antifaschistinnen mit uns über unsere „Anti-Solidarität“ mit opferunwilligen Jüdinnen streiten, weil wir einfach deren Hass auf Muslime nicht teilen? Wie erklären wir diesen „Antirassistinnen“, dass ihre Angst vor dem „schwarzen Mann“ auch nur Rassismus ist und Teil des Problems und für nichts eine Lösung? 4

Die erste Konsequenz muss sein, den Begriff der Solidarität zu überdenken, um nicht erst in die Falle der sozialarbeiterischen Opfersympathie zu tappen. Radikale Linke sind nicht mit den sympathischeren Opfern solidarisch, sondern mit emanzipatorischen Ideen. Die Befreiung von der Besatzung ist eine solche emanzipatorische Idee. Besatzung, Krieg, Diskriminierung und militärische Terrorabwehr sind keine emanzipatorischen Ideen.

Die zweite Konsequenz muss sein, linke Rhetorik auf den tatsächlichen Inhalt und dessen Umsetzbarkeit zu überprüfen. Der Kampf gegen sexuelle Gewalt ist eine linke Idee, mit der Solidarität begründet und eingefordert wird. Aber Solidarität mit jüdischen Betroffenen patriarchaler Gewalt gilt nicht mehr, wenn deswegen andere Opfer patriarchaler Gewalt sterben müssen. Den Fokus auf Gewaltwiderfahrnisse von Jüdinnen und israelischen Frauen zu legen, rechtfertigt nicht, das Massensterben und Leiden der Frauen in Gaza auszublenden.

Eine dritte Konsequenz muss lauten: Internationalismus. Wir müssen uns fragen lassen, ob unsere Perspektive nicht einfach nur deutsch ist und die bittere Konsequenz aus unserer eigenen Sozialisation in einer rassistischen und reaktionären Alltagswirklichkeit. Den Islam als rückständige („barbarische“) Religion zu betrachten, macht dich nicht weniger zum Nazienkel sondern mehr. Auch der nebulösen deutschen Staatsräson bedingungslos zu dienen, ist nicht die fortschrittliche Idee, für die du es hältst. Das Abschlachten unserer Klassengeschwister ist nirgendwo auf der Welt legitim.

Als vierte Konsequenz gilt, den Feminismus gegen seine Instrumentalisierung zu verteidigen. Wenn weiße Flintas, von Staatsfeministinnen bis Queeraktivistinnen, den Begriff Solidarität umdeuten, um sich johlend auf die Seite der Herrschenden zu schlagen, müssen wir daran erinnern, dass Intersektionalität im Feminismus bedeutet, auch die Interessen der nichtweißen Frauen (zB. Überleben in Gaza) mit in den Blick zu nehmen. Eine Soldatin der IDF gehört in Israel eben nicht zu einer diskriminierten Minderheit sondern gerade als aktiver Teil der Streifkräfte – und das auch als Geisel der Hamas- zur Klasse der Herrschenden. Und auch für Israel gilt, was in der deutschen Linken Standard sein sollte: Auch Soldatinnen sind Mörderinnen. An feministische Solidarität zu erinnern, weil eine Vertreterin der herrschenden Klasse, in Ausübung der Herrschaft individuell Leid, Schmerz und Elend ertragen muss, greift da ins Leere. Jede Palästinenserin ist aber Opfer der Besatzung, der israelischen Blockade, des Bombardements und des Kriegs Israels gegen die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen.

Und keine davon war oder ist Soldatin der Hamas.

Fußnoten

  1. https://movements-journal.org/issues/03.rassismus/10.dietze–ethnosexismus.html ↩︎
  2. https://megaphon.org/offener-brief-an-die-supporter-reaktionaerer-und-rassistischer-antideutscher ↩︎
  3. https://kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/wp-content/uploads/2021/07/Bulla_Femonationalismus_finalo-1.pdf ↩︎
  4. https://jimcrowmuseum.ferris.edu/brute/homepage.htm ↩︎