Keine Profite mit unserer Gesundheit!
Während das Personal in Krankenhäusern um Jobs und die Finanzierbarkeit der Gehälter bangt, und die MitarbeiterInnen im Arbeitsalltag völlig überlastet sind, verdienen Fremdfirmen an der geleisteten Krankenversorgung. Medizinische Versorgung wird zum eiskalt kalkulierten Geschäft.
Zweifellos sind die Belastungen des medizinischen und pflegenden Personals in den Einrichtungen und Krankenhäusern extrem: Überarbeitung, hohe Krankenstände, Überlastungsanzeigen, besondere gesundheitliche Risiken und Gefahren, die in der letzten Zeit Aufmerksamkeit erstreiten. Während das Pflegepersonal Überlastungsanzeigen schreibt, wird auf Balkonen für die `Helden des Alltags´ musiziert und geklatscht. Medizinisches Personal und Pflegekräfte sind systemrelevant. Nach den Paragrafen 15 und 16 des Arbeitsschutzgesetzes sind Pflegekräfte verpflichtet, so gut wie möglich für ihre eigene Gesundheit, aber auch für die ihrer MitarbeiterInnen und natürlich die der Patienten Sorge zu tragen. Sie müssen darauf achten, sich und andere nicht in Gefahr zu bringen – etwa, wenn sie aufgrund der Hektik und des erhöhten Zeitdrucks schwerwiegende Fehler machen könnten. Zudem muss man die Gefahren für seine Gesundheit unverzüglich melden. Das heißt: Wenn man dauerhaft beruflich überlastet ist und fürchtet, deshalb krank zu werden, muss man die Überlastung unverzüglich melden – genauso wie andere Gesundheitsgefahren (etwa große Hitze, rutschige Böden et cetera). Während Pflegekräfte noch als `Helden des Alltags´ gefeiert werden, sind viele schon längst überarbeitet und krank. Männer schalten dann eher auf Leerlauf, denn sie neigen bei Überlastung dazu, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen. Bei Frauen spielt im Job grundsätzlich der Faktor Anerkennung eine große Rolle. Frauen fühlen sich daher meist auch empfindlich getroffen, wenn das Team, die Patienten oder der Chef auf eine Überlastungsanzeige mit „Liebesentzug“ oder sogar Mobbing reagieren.
Uniklinikum Magdeburg
Das alles belegt die Konsequenzen der Profitorientierung des Gesundheitswesens. Krankenhäuser werden geführt wie Wirtschaftsunternehmen. Als Krankenhaus der Maximalversorgung ist das Uniklinikum Magdeburg Anlaufpunkt für besonders schwere Krankheitsbilder. Nach eigenen Angaben könnten am Jahresende 129 Millionen Euro fehlen, davon 30 Millionen wegen bisher nicht ausgeglichener Einnahmeverluste durch die Coronakrise. Im November 2019 hat das Uniklinikum einen Auftrag über Rechtsdienstleistungen einschließlich damit verbundener Inkassodienstleistungen ausgeschrieben. Die Inkassodienstleistungen sollten laut dieser Ausschreibung an eine Fremdfirma ausgelagert werden. Prozesse und Arbeitsbereiche werden ausgelagert, um dem Unternehmen Kosten zu sparen. Steht die Einsparung von Kosten im Vordergrund, ist das sogenannte „Outsourcing“ häufig mit einem Stellenabbau verbunden, weshalb es gesellschaftlich kritisch betrachtet wird. Offensichtlich bekam ein Bewerber den Zuschlag, denn seit Anfang 2020 schreibt die Kanzlei Bayh & Fingerle aus Stuttgart säumige Zahler im Auftrag des Uniklinikums an. Die Neuregelung des Mahnwesens geht zu Lasten der MitarbeiterInnen und vor allem der Patienten.
Fremdinkasso bedeutet, dass die fälligen Mahnkosten für Patienten und säumige Zahler förmlich explodieren. Statt 2,50 Euro pro Mahnung werden jetzt 20,00 Euro Mahnkosten veranschlagt, die Portokosten steigen von 1,50 Euro auf 20,00 Euro pro Vorgang. Fällig wird jetzt eine Geschäftsgebühr. Diese Gebühr beträgt mindestens 58,50 Euro bei Forderungsbeträgen bis 500,00 Euro und steigt mit dem Wert der Forderung. Für Beträge ab 500,00 Euro werden bereits 104,00 Euro fällig. Für Beträge ab 1.000,00 Euro 149,50 Euro Anwaltsgebühr usw. Die Beauftragung der Kanzlei bedeutet, dass Patienten des Uniklinikums bei Zahlungsverzug über Mahngebühren nun auch die Kanzlei in Stuttgart mitfinanzieren. Dafür werden Stellen am Klinikstandort in Magdeburg eingespart. Eine Entscheidung, die vor irgendwem in ihrer Notwendigkeit gerechtfertigt werden muss, aber der Kanzlei als Dienstleister voraussichtlich beachtliche Gewinne einbringt. Die Firmenpolitik des Klinikums entwickelt sich mehr und mehr in die Richtung eines Unternehmens mit Gewinnorientierung ohne Rücksicht auf die Belange und Rechte der Patienten und MitarbeiterInnen.
Das Uniklinikum war bereits 2017 mit einer merkwürdigen Praxis in den Medien: In den Stammdaten der Patienten wurden bei Zahlungsverzug Vermerke eingerichtet, die bei einer Neuaufnahme den jeweiligen Patienten als säumigen Schuldner kennzeichnen. Ziel dieser Regelung war es, den säumigen Zahler zukünftige Behandlungen zu verweigern. Potenziell säumige Zahler bereits bei der Aufnahme abzuweisen, sorgt für Bettenleerstand aber nicht für notwendige Einnahmen. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Harald von Bose, sah das damalige Vorgehen der Uniklinik kritisch: „Die Daten werden von Dritten gesehen, die dafür gar nicht zuständig sind“, sagte er gegenüber der Volksstimme. Er äußerte an der Praxis erhebliche Zweifel: „Das halte ich datenschutzrechtlich für höchst fragwürdig.“
Mit der letzten Mahnung des Uniklinikums wird den Patienten mitgeteilt, dass zukünftig die Firma S/F/G Forderungsmanagement das Inkasso übernehmen und dazu der „Vorgang“ an das Unternehmen übergeben wird. Der Geschäftsführer der S/F/G Forderungsmanagement GmbH heißt Adrian Bayh. Mahnungen kommen dann von der Kanzlei Bayh & Fingerle. Geschäftsführender Gesellschafter der Kanzlei ist seit 1983 Peter Bayh. Die Kanzlei Bayh & Fingerle ist als Partner der Firma S/F/G GmbH genannt. Unklar bleibt, welchen Daten und Akten an wen übergeben werden. Der Patient erfährt an keiner Stelle des Prozesses, wer was über seinen Fall und aus seiner Krankenakte erfährt und an wen welche Daten zu welchem Zweck weitergegeben werden. Aber er erfährt mit dem ersten Anwaltsbrief, dass sich die Kosten vervielfachen.
Ohne Krankenversicherung
Kosten für Krankenhausbehandlung können zum Beispiel anfallen, wenn eine Schwangere in der Klinik entbindet und das Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freigibt, aber das Kind bis zur Klärung der Zuständigkeit nicht bei der eigenen Familienversicherung anmeldet. Dann ist zwar die Mutter krankenversichert, aber das Kind nicht. Die Kosten werden dann der Frau in Rechnung gestellt, die eine Mutterschaft nicht antreten will und nicht wird. Auf Behandlungskosten, die weder von Krankenkassen übernommen noch durch die Patienten selbst bezahlt werden, weil der Schuldner zum Beispiel zahlungsunfähig ist, werden die Krankenhäuser trotz erbrachter Leistung weiterhin verzichten müssen. Diese Einnahmeverluste bedeuten Verluste für die Klinik.
Seit 2009 ist die Krankenversicherungspflicht gesetzlich verankert. Menschen zahlen anteilig aus ihrem Einkommen in eine Krankenversicherung ein. Aus diesen Einnahmen werden die Kosten der medizinischen und therapeutischen Versorgung der Versicherten bezahlt. Dennoch leben in Deutschland mindestens 80.000 Personen, die keine Krankenversicherung haben Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Vor allem Ausländer und Selbstständige sind nicht krankenversichert. Mit jedem Monat, in dem die Betroffenen weiter ohne Versicherung bleiben, erhöhen sich nicht nur die zukünftigen Beitragsschulden der Nichtversicherten, sondern auch das Risiko krank zu werden und kostenpflichtige Behandlungen in Anspruch nehmen zu müssen und darauf sitzen zu bleiben. Stationäre Behandlungen in einem Krankenhaus können sich schnell zu mehreren tausend Euro summieren. Bei gesetzlich Versicherten übernimmt diese Kosten die Krankenkasse, bei Menschen ohne Krankenversicherung oder Weigerung der Krankenkasse zur Kostenübernahme, sind die Patienten selbst zahlungspflichtig.
Dabei sind selbst politische Lösungen für solche Forderungsausfälle denkbar:
Opfern von Verkehrsunfällen, deren Verursacher nicht versichert sind, hilft die Verkehrsopferhilfe e.V. (VOH) – einer Einrichtung der deutschen Autohaftpflichtversicherer. Die VOH hilft in der Funktion als Garantiefonds bei Unfällen in Deutschland, die durch nicht ermittelte oder nicht versicherte Kraftfahrzeuge verursacht werden oder in denen das Auto vorsätzlich und widerrechtlich als „Tatwaffe“ eingesetzt wird oder der Autohaftpflichtversicherer insolvent wird. Der Verein Verkehrsopferhilfe e.V. wurde im Jahre 1963 von Autohaftpflichtversicherern gegründet. Analog dazu könnte eine Entschädigungsstelle der Krankenkassen, die Behandlungskosten für nicht krankenversicherte Patienten übernimmt, Patienten und Einrichtungen entlasten. Eine weitere Möglichkeit ist die Vergesellschaftung des Gesundheitswesens.
Wenn aber Krankenhäuser weiter wie Wirtschaftsunternehmen geführt werden, bleiben die Patienten und MitarbeiterInnen auf der Strecke. Einfach weil wir uns als Kranke mit schweren Verläufen nicht aussuchen können, in welches Krankenhaus wir gehen, wenn wir eine spezielle Betreuung und Untersuchungsmethode brauchen. Oder aber weil wir als Personal auf die Entscheidungen der Führungsebene vertrauen müssen und mit Kosteneinsparungen konfrontiert werden. Wir sind als Patienten wie MitarbeiterInnen der Politik des Unternehmens komplett ausgeliefert.