Sebastian ist 21 Jahre alt und hat ein Auslandssemester in Nordspanien gemacht. Er gehört zu den letzten deutschen Staatsbürgern, die von Spanien zurück nach Deutschland geflogen sind. Megaphon hat er von seinen Einrücken vor Ort berichtet.
Vor 9 Tagen bin ich aus Spanien zurückgekehrt. Mit dem letzten Flieger, der noch ging. Seit dem 23. März fliegen keine Passagierflugzeuge mehr nach Deutschland, mindestens bis zum 1. Mai. Für die Reise brauchte ich 34 Stunden (die Hinreise dauerte 6). Spanien ist nach Italien das von der Corona-Pandemie am stärksten betroffene Land in Europa. Die spanische Regierung hat, genau wie viele andere, lange nichts gegen die Ausbreitung des Virus unternommen, um schließlich die härteste Ausgangssperre Europas zu verhängen. Das war in meiner Region ein Prozess von wenigen Tagen. Am Mittwoch (11. März) lief der Alltag noch ganz normal, am Donnerstag wurde die Uni und alle weiteren Bildungseinrichtungen geschlossen, Samstag die Geschäfte (außer Supermärkten, Apotheken und ähnliche) und ab Sonntag galt die Ausgangssperre. Diese sollte zunächst für zwei Wochen gelten, aber schon am zweiten Tag kündigte die Regierung an, dass es wohl doch länger dauern werde. Inzwischen wurde sie um weitere zwei Wochen verlängert, wieder mit der Aussicht auf weitere Verlängerung. Die Menschen dürfen nur noch das Haus verlassen, wenn es zwingend notwendig ist, d.h. um sich Essen, Medikamente oder Geld zu besorgen, um zu arbeiten oder Menschen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können. Die Mobilität ist drastisch heruntergefahren. Selbst alleine spazieren oder joggen zu gehen, ist nicht erlaubt. Die Polizei fährt durch die Stadt und kontrolliert, dass niemand mit Begleitung unterwegs ist oder stehen bleibt.
In den Tagen direkt vor und nach der Verkündung der Ausgangssperre waren die Supermärkte so voll, wie ich sie in den sieben Monaten meines Aufenthaltes zuvor nie erlebt hatte. Die Angestellten hatten erst nach dem Inkrafttreten einen Mundschutz. Dinge wie Nudeln, Pizza, Eier, Toast oder Klopapier waren nur noch morgens oder gar nicht mehr zu bekommen. Die Straßen waren so voll wie immer, aber die Lebensfreude, die die Menschen sonst versprühten, war weg. Es ging nur noch darum, sich zu versorgen. Nach diesen paar Tagen waren die Straßen so gut wie leer, die Stadt nicht wiederzuerkennen. Normalerweise findet das Leben in Spanien viel mehr draußen statt als in Deutschland. In jeder halbwegs großen Straße gibt es Cafés, Restaurants, Kneipen mit Außenbereichen, wo von früh bis spät Menschen zusammenkommen. Jetzt war das öffentliche Leben tot und auch ich konnte meine Wohnung kaum noch verlassen. Ich bin eigentlich niemand, der ein Problem damit hat, allein zu sein. Aber das erzwungene Alleinsein, das Bewusstsein, dass ich niemanden treffen darf, nicht einmal meine Freundin, und vor allem die Ungewissheit, ob das nun wochen- oder monatelang so bleiben würde, machte mir doch ziemlich zu schaffen. Zusätzlich zu dieser Belastung müssen viele Menschen jetzt fürchten, ihren Job, ihren kleinen Laden, ihre Existenzgrundlage dauerhaft zu verlieren. Die sozialen Sicherungssysteme in Spanien sind noch schlechter als die deutschen.
Alles bisher Geschilderte sind Eindrücke aus einer Region, die vergleichsweise (noch) nicht besonders stark vom Virus betroffen ist. Das sieht in der Hauptstadt ganz anders aus. Madrid, wo die ersten Fälle in Spanien aufgetreten sind, gilt schon seit Wochen offiziell als Risikogebiet. Dort herrschen Zustände wie in Italien: Es fehlt an Allem, Ärzte müssen Patienten mit geringen Überlebenschancen aussortieren, manche müssen sogar auf dem Boden schlafen. Pflegerinnen sprechen von Zuständen „wie im Krieg“. Bei der angeblichen „Verstaatlichung“ der Krankenhäuser handelt es sich in Wirklichkeit um eine temporäre staatliche Kontrolle über private Krankenhäuser, die sich zuvor geweigert hatten, Corona-Patienten aufzunehmen, weil deren Behandlung nicht genug Geld bringt.
Gleichzeitig blieben die Fabriken und Büros trotz der Ansteckungsgefahr geöffnet. Erst zwei Wochen später wurden alle nicht versorgungsrelevanten Betriebe geschlossen, da die Situation immer weiter eskaliert. Mehrere Fabriken mussten bereits vorher schließen, weil die Arbeiter sich selbständig organisiert und die Arbeit niedergelegt hatten, um ihr Recht auf Gesundheit einzufordern. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass sie dies ohne Aufforderung oder Unterstützung der Gewerkschaften getan haben, die „ihre“ Regierung aus Sozialdemokraten und Linken bisher bedingungslos unterstützen. Diese Regierung hat, wie die deutsche, in ihren Rettungspaketen an erster Stelle große Unternehmen bedacht und schickt die Angestellten jetzt in einen zweiwöchigen Zwangsurlaub. Das Gehalt wird zwar weitergezahlt, aber die weggefallenen Stunden sollen später zusätzlich gearbeitet werden. Die Krise wird die spanische Arbeiterklasse hart treffen, aber sie zeigt bereits im Kleinen, dass sie willens und in der Lage ist, für ihre Rechte zu kämpfen und den Bossen die Stirn zu bieten.
Der Mut und die Entschlossenheit der spanischen Fabrikarbeiter sollten uns allen als Inspiration dienen. Die Arbeiterklasse steht zusammen: Hoch die internationale Solidarität!