Sei nicht wie Deutschland.

Der Krieg in Palästina wird uns alle verändern. Auch in D, wo die Kriegshandlungen für das gemeine Kanonenfutter (uns) bisher nur virtuelle und repressive sind, aber keine tödlichen. Ich empfinde mittlerweile vor so vielen Menschen echten Ekel bis lähmende Angst, die ich vorher wenigstens aus der Ferne noch einigermaßen erträglich fand. Jetzt möchte ich, dass sie oder ich umziehen, um zukünftig in weit von einander entfernten Galaxien zu leben. Das ist meine letzte Hoffnung: Die Deutschen und ich leben uns bitte einfach diskret auseinander. Wir trennen uns. Bis dahin bleibt unsere Beziehung kompliziert.

Eine, von denen, die mich belehren wollen, dass Solidarität mit Israel die einzig richtige Haltung zum Krieg gegen Gaza ist, fragt mich im Chat, was ich tun würde, wenn meine Tochter von der Hamas ermordet worden wäre. Darüber habe ich, selbstverständlich, wie über vieles andere auch, bereits nachgedacht. Angenommen, eine meiner Töchter, würde von der Hamas verschleppt (und beim darüber nachdenken zerreißt mein Herz), dann würde ich nicht das vermutete Aufenthaltsgebiet der Entführer von der Versorgung abschneiden und sowieso nicht bombardieren. Ich würde nämlich mein Kind lebend zurück haben wollen. Wahrscheinlich würde ich verhandeln und auf alles eingehen, was die Entführer haben wollen. Wären alle meine Hoffnungen und mein Kind schon ermordet, würde ich dennoch nicht die Familie der Mörder ausbomben. Niemals. Ich bin und bleibe doch ein fühlender und denkender Mensch. Vom Tod der anderen Kinder käme meines auch nicht zurück. Ich hätte vor Trauer auch keine Kraft für irgendeine derartige Rache und sowieso keine Möglichkeiten. Außerdem habe ich ein funktionierendes Gewissen.

Ich bin kein Staat und kein Staat ist wie ich. Ein Staat ist keine liebende Mutti, sondern ein bis an die Zähne bewaffnetes, militärisch hochgezüchtetes gefühlloses Konstrukt mit ganz anderen Interessen als der puren Liebe einer Mutter zu ihren Kindern. Ich habe zwar diesen deutschen Pass und weiß, welche Erwartungen damit an mich gestellt werden: Arbeiten, mich überschaubar fortpflanzen, danach schnell sterben und zwischendurch die Fresse halten und brav funktionieren und den Reichtum der anderen mehren. Alles darüber hinaus ist ein Zugeständnis auf Kosten Anderer. Der deutsche Pass verpflichtet mich als Gegenleistung für diese Zugeständnisse zum Gehorsam: Wenn Deutschland von mir will, dass ich mich in einen Schützengraben legen muss, um da zu verrecken – habe ich die Wahl ja zu sagen oder mich vorher selbst zu entleiben. Viel mehr „Freiheit“ ist da nicht. Die Zivilbevölkerung ist fast überall auf der Welt lediglich Erfüllungsgehilfin für fremde Interessen. Und jeder Staat wird auf Blut gebaut. Ich versuche dabei – und trotz allem – eigentlich nur meine Menschlichkeit zu bewahren, in dem ich nicht wie ein Staat handele.

Aber diese Frau, die von mir hören will, dass auch ich um den Tod meiner Tochter zu rächen, einen dicht besiedelten Landstrich wegbombe, weil Israel das tut und ich (optisch) zur weißen Herrschaft gehöre, würde eben genau das tun, wenn man sie lässt. Und nur, weil man sie bisher nicht lässt, ist sie nicht weniger gefährlich. Denn diese Frau, und das weiß ich, wird, wenn sie die Möglichkeit hat, auch mir die geladene Waffe an den Kopf halten, auch abdrücken, wenn ich nicht gehorche oder sogar der Staatsräson zuwiderhandele. Und sie wird das im Namen des Feminismus machen, denn sie verteidigt in ihrer Vorstellung lediglich die Interessen der Frauen in der westlichen Welt gegen den (importierten) Terrorismus und ich stehe ihr dann im Weg. Aber das ganz sicher.

PS:
Beitragsbild und Titel stammen aus einem Reaktionsvideo von sozi36 auf die Habeckrede (bei instagram).