Liebeskummer einer radikalen Linken:

Eigentlich liebe ich die Linke, als politische Bewegung, als Szene, als Lifestyle. Ich liebe es, unter dem Begriff Linke viel eher Menschen zu treffen, die Herz und Hirn haben, als außerhalb dieser Strukturen. Ich mag diese Kreativität und die Betriebsamkeit, das Mitdenken und Mitfühlen. Wenn sich drei Linke mit ausreichend Tagesfreizeit zusammenfinden, gibt es bald einen Infoladen mit Küfa, wöchentlichem OAT und um mehr kämpfende Strukturen. Das alles ist grandios, ich liebe alles daran. Das alles entsteht aus dem Nichts, mit nichts anderem als dem Ideenreichtum und dem Fleiß der agierenden Menschen. Diese Menschen machen das einfach so, weil sie es wollen und fühlen. Daran ist absolut nichts verkehrt. Selbst eine defizitäre Demokratie im kapitalistischen Wertesystem kann und muss das aushalten, wenn ein paar Einzelne noch in ihren Refugien rummenscheln. Das geht so klar.

Aber dann sehe ich wie viel Hass und Gegenwehr diesen Menschen entgegen geschleudert wird. Strukturen wie die Linksjugend führen Unvereinbarkeitslisten, die direkt aus dem Innenministerium stammen könnten, mit Begründungen, die selbst das Innenministerium erröten lassen. Antideutsche und Journalisten leisten aktive Anti-Antifa-Arbeit, von der Ausspähung bis zur Veröffentlichung. Protestaktionen an Unis werden von Studierendenräten protokolliert, die sich wie der Saalschutz der Unimensa aufführen. Landtagsabgeordnete der Linkspartei blockieren mit IDF-Fahnen Antikriegsdemos. Wir leben in einer Dystopie. Das alles sind nicht nur politische Differenzen sondern auch zwischenmenschliche Defizite. Unser Links wurde durch deren Links ersetzt. Plötzlich bedeutet Linkssein Rassismus, Staatsräson,  ehrenamtliche Ermittlungsarbeit und Beihilfe zur Kriminalisierung. Und weil das alles so überhaupt nicht links ist, ist deren Empathie für uns auch nur noch ein spitzer Stein im Schuh. So verhalten sie sich dann auch: Wir sind denen lästig.

Ich will mit denen nichts zu tun haben, bin fein raus. Aber ich möchte, dass bestimmte Menschen Verantwortung für ihr bis zu Jahren anhaltendes Fehlverhalten übernehmen. Dafür müßte ich sie kritisieren, öffentlich. Weil interne Kritik viel zu oft ignoriert wird. Erst der drohende Imageverlust durch berechtigte Kritik! bewegt reichweitenstarke Accounts zur Reaktion. Gleichzeitig weiß ich, dass deren erste Reaktion ein schambefreites, empathieloses, Gezeter in aller Öffentlichkeit sein wird. Natürlich verschafft deren Gezeter meiner Kritik auch Reichweite, und das ist deren und meine Absicht. Du mußt nur einen klitzekleinen, randständig wirkenden Angriffspunkt einbauen und die Kritisierten zerfetzen die Kritik wie ein Wolfsrudel das verletzte Rehkitz. Das ist keine Kunst, das ist schäbig. Im Nachgang wird dann reflektiert und in den allermeisten Fällen sogar umgesetzt, was ich zuvor kritisiert habe. Oft weil sie sich über sich selbst erschrecken. Gut so. Aber warum dieses ehrenlose Gezeter zuvor? Schützt euch das, vor der Selbstreflexion nochmal die Kritisierenden zu attackieren? Oder wovor sonst? Vor dem Verstehen und Erschrecken jedenfalls nicht. Warum dieser Verrat an linken Werten und diese erneute und komplett überflüssige Zurschaustellung eurer eigenen Grausamkeit? Wir haben das zwar schon immer geahnt, aber wir wollen keinen weiteren Beleg dafür. Echt nicht. Es reicht.

Wir haben uns als linke Bewegung auch zu Mindeststandards im Zwischenmenschlichen verpflichtet. Wir sind nicht diejenigen, die einem Knastbedrohten zurufen: „Gut, dass du bald einsitzt! Haste verdient!“ Wir sind nicht diejenigen, die einem Suizidalen „Spring endlich!“ zum Hochhausdach zubrüllen. Wir sind auch nicht diejenigen, die Menschen in Not, das Ohr und die Hilfe verweigern. Wir supporten einander und handeln über den eigenen Dunstkreis hinaus achtsam und wertschätzend. Weil jeder Mensch ansich einen Wert hat. Die Linke sollte auch ein SafeSpace für alle am Kapitalismus und an Deutschland Leidenden sein. Als Linke ist uns Empathie wichtig. Oder zumindest sollte es das sein. Darum bekommt ein ehrlicher Post über Depressionen viel Zuspruch und Unterstützung, weil dieses Leiden viele in ihrem Leben fühlen und kennen. Das Leben im deutschen Kapitalismus bedeutet für so viele unendliches Elend. Wenn aber ausgerechnet diese Leute, die so oft um Empathie für die eigenen Leiden öffentlich bitten und dieses Mitgefühl auch bekommen, so schnell derart grausam und direkt aus der Therapiesitzung im nächsten Instapost zu staatsräsonierenden Bluthunden werden, müssen wir uns fragen, warum das so ist. Und: Warum wir das nicht ändern.  Wenn du also seit Jahren und bis heute eine Israelfahne schwenkst, dann bist du auch und trotz deiner Depression Teil des Problems. Weil du nicht verstehst, dass Mitgefühl sich nicht darin erschöpft, weiße Bildungsbürgerkids wie dich auf instagram für ihre Leiden im und am Kapitalismus zu bedauern, während in Gaza Menschen einfach nur den nächsten Tag überleben wollen und viele es schon nicht geschafft haben.

Ich will nicht bestreiten, dass es dir schlecht geht: Du wirst tatsächlich niemals in den Vorstand der Amadeu-Antonio-Stiftung aufsteigen, auch keinen Bio-Spargel aus einem Kibbuz aus besetztem Gebiet zu fairen Preisen nach D importieren, dir fällt auch kein bestens bezahltes Landtags-/Bundestagsmandat (Sorry, falsche Partei) in den Schoß, um großzügig ¾ davon zu spenden. Du wirst einfach nie das erreichen, was dir als gebildeter weißer Bildungsbürger nach deinem Dafürhalten und der gesamten Parteiabhampelei zusteht. Das ist alles vorbei und der Zug ist komplett abgefahren. Das ist wahr und für dich sicher traurig. Aber auch du hast zu lange auf israelische Zustände in D gehofft und die Ampel setzt sie nun um und nicht die Linkspartei. Und die AfD legt dann die Schlinge auch um deinen Hals. Aber jetzt ziehen wir beide endlich an einem Strang, mit dem anderen Ende um den Hals des Anderen. Nur bin ich darauf vorbereitet und du nicht. Aber für dein Entsetzen über die Faschisierung Ds kann ich ja nichts und niemand sonst, der oder die dich für vergangene und zukünftige Rassismen, Kriegsgeilheit, Staatshörigkeit und Demokratiebesoffenheit kritisiert.

Du bist ein Teil davon. Mehr habe ich ja auch nie kritisiert.