Der Fernsehkomiker Luke Mockridge wird für seine frauenfeindlichen Witze im Netz heftig kritisiert. Doch seine Arbeitgeber SAT.1 und ProSieben stellen sich lautstark hinter ihn. Feministische Frauen hingegen werden in der Öffentlichkeit systematisch zum Schweigen gebracht.
Ein Kommentar von Emily Williams
Im Dezember 2020 redet eine Frau in einem Podcast über ihre toxische Beziehung zu einem Mann. Sie nennt seinen Namen nicht. Aus den geschilderten Umständen ist jedoch erkennbar, welcher Mann gemeint ist. Dieser Mann ist prominent, er moderiert Shows und erzählt im Fernsehen und auf Bühnen eklige Witze. Er verkauft es uns als Scherz, wenn K.-o.-Tropfen an den Freund einer Frau weitergereicht werden statt sie selbst willenlos zu machen.
In welcher Absicht, der Typ Frauen in Clubs betäuben möchte, lässt sich erahnen. An seinem Wohnort wird vor ihm seit Jahren gewarnt. Er hat den Ruf, ein sexistisches, übergriffiges Arschloch zu sein. Seine bescheuerten Witze passen dazu.
Täter inszenieren sich als Opfer
Umso jemanden aus der Öffentlichkeit und dem Fernsehen zu entfernen, gibt es viele Gründe und viele Möglichkeiten. Selbst bei einem Vertrag mit einem TV-Sender kann der Mann mit sofortiger Wirkung freigestellt werden, die Verträge werden nicht verlängert oder auch fristlos gekündigt. Es gibt viele Optionen, um auf derartige Vorwürfe angemessen zu reagieren. Das sofortige Handeln schließt eine nachträgliche Klärung nicht aus. Um auf derartige Anschuldigungen konsequent zu reagieren, bedarf es keines Urteils oder Strafverfahrens. Ein klärendes Verfahren wird der Beschuldigte von sich aus anstreben, da sich sexistische Arschlöcher oft ungerecht behandelt fühlen, wenn sie Konsequenzen für ihr Scheißverhalten zu spüren bekommen. Natürlich wird ein solches Arschloch sich als Opfer ungerechtfertigter Vorwürfe inszenieren, weil solchen Typen häufig das Unrechtsbewusstsein fehlt und in ihrem Kosmos Frauen kein Recht auf Selbstbestimmung, eigene Meinung oder gar Protest haben. Über Jahrhunderte haben solche Typen die Macht und bringen Frauen systematisch zum Schweigen.
Das Schweigen machte es bis dahin den Tätern möglich, unbehelligt zu marodieren. Es ist, als hätten die Stimmen dieser prominent in der Öffentlichkeit stehenden Männer die Stimmen anderer bis zur Nichtigkeit verstummen lassen. Auch ein Akt der patriarchalen Gewalt. Diese Männer beraubten Frauen ihrer Stimme, mit der sie sich hätten weigern können, und ließen sie mit ihren zermürbenden Geschichten zurück, die unerhört blieben. „Unerhört” heißt in diesem Fall: Die, die Macht hatten, wollten nichts davon wissen, hören oder glauben. Die Mächtigen wollten nicht, dass jemand diesen Menschen zuhört. Das jüngste Beispiel für patriarchale Gewalt und Begleitung zur Stummstellung von Frauenstimmen ist die Diskussion um das Verhalten von Luke Mockridge. Unter dem Hashtag #KonsequenzenfürLuke werden sein sexistisches und toxisches Verhalten thematisiert und die TV-Sender SAT.1 und ProSieben zur Durchsetzung von Konsequenzen aufgefordert.
SAT.1 hat sich bereits mit einem Tweet als Täter schützend entlarvt. Darin heißt es, dass es aus „guten Gründen“ kein juristisches Verfahren gegen Mockridge gibt. Die kraftvollen Kritiken an Mockridges Verhalten werden als „Gerüchte“ denunziert, in die sozialen Netzwerke verbannt und als „Lynchjustiz“ dämonisiert. Das alles widerspräche dem Rechtsverständnis des Senders. Der Twitteraccount des Senders ProSieben hat diese Stellungnahme retweetet und sich damit ein eigenes Statement erspart. Aus dem Stand wird Mockridge verteidigt und die Kritik ins Reich des Unseriösen, Brutalen, Unzulässigen verdammt. Dabei erfolgt der Rückgriff auf den Rechtsstaat als vermeintliche Legitimation ohne diesen auch nur ansatzweise zu nutzen. Vom Rechtsmittel der Verdachtskündigung wird kein Gebrauch gemacht, denn Mockridge gilt dem Sender als Opfer, der gegen „Lynchjustiz“ verteidigt werden muss. Durch die Begriffswahl wird die Unrechtmäßigkeit der Forderung nach Konsequenzen betont und die eigene Haltung zur einzig legitimen erklärt.
Der Verfasser des SAT.1-Statements präsentiert mit dieser Äußerung seine spezifische Sichtweise auf die Vorwürfe und gibt damit bekannt, dass er weder den Anschuldigungen glaubt, noch die juristischen Möglichkeiten ausschöpfen wird, um darauf zu reagieren. Und das ungeachtet der weiteren Entwicklungen. SAT.1 und ProSieben werden auch zukünftig lieber einen Täter im eigenen Programm vor Gerüchten aus den sozialen Netzwerken schützen als Frauen vor toxischen Männern als Pausenclowns in der TV-Unterhaltung. Was bei den Verschwörungstheoretikern wie Wendler und Naidoo bei RTL funktionierte, nämlich beide komplett aus dem Programm und Verträgen zu werfen, funktioniert bei Mockridge und SAT.1 und ProSieben eben nicht. Aber Mockridge leugnet eben nicht Corona, sondern nur, dass Frauen Rechte haben. Bei SAT.1 und ProSieben reicht das nicht für eine Kündigung.
Das Unerhörte aussprechen
Die Geschichte des Schweigens ist für die Geschichte der Frauen eine zentrale. Das Schweigen ist das Spielbrett des Ungesagten, des Unerhörten, auf dem wir uns bewegen. Feminismus ist der stumme Schrei der Unterdrückten, Ausgelöschten und Ungehörten. In diesem Szenario ist klar geregelt, wer sich wie und in welche Richtung bewegt. Darüber muss nicht mehr gesprochen werden. Das Schweigen tritt aus vielen Gründen und in vielen verschiedenen Arten auf; jede Frau hat ihr ganz persönliches Reservoir an unausgesprochenen Wörtern. Reden bringt Menschen zusammen, macht sie hör- und sichtbar, das Schweigen trennt sie. Das Schweigen beraubt uns der Unterstützung, Solidarität oder auch schlicht der Gemeinschaft, die das Sprechen stiften und erzeugen könnte.
Wer nicht gehört wird, verzweifelt. Manchmal ist das wortwörtlich so, als wäre Frau lebendig begraben: Wenn dir niemand zuhört, obwohl du sagst, dass dein Mann oder Ex dich erniedrigt, quält und demütigt. Wenn dir niemand glaubt, obwohl du sagst, du hast Gewalt erlebt. Wenn dir jedes Mal, sobald du den Kopf aus der Deckung erhebst, jemand Schläge androht. Wenn niemand deine Hilferufe hört oder du dich nicht mal traust, um Hilfe zu rufen. Wenn du Angst hast, um Hilfe zu rufen, weil das neuen Hass erzeugt. Wenn dir eingetrichtert worden ist, andere Menschen nicht mit deinen Hilferufen zu behelligen. Wenn schweigendes Aushalten dein morgendliches Mantra ist. Wenn man es für unangemessen hält, wenn du im Plenum den Mund aufmachst. Wenn du nicht zugelassen wirst, zu einer mit Macht ausgestatteten Institution. Wenn du unsachlicher Kritik ausgesetzt bist und deren Subtext besagt, dass Frauen weder anwesend sein noch überhaupt gehört werden sollten.
Stimme erheben als Menschenrecht
Gewalt gegen Frauen ist oft auch Gewalt gegen ihre Stimmen und ihre Geschichten. Gewalt gegen Frauen ist die Zurückweisung dieser Geschichten – und dessen, was eine Stimme überhaupt bedeutet: das Recht auf Selbstbestimmung, auf Teilhabe, auf Zustimmung oder eine abweichende Meinung, das Recht darauf, zu leben und mitzumachen, zu interpretieren und zu erzählen. Ein Ehemann schlägt „seine“ Frau, um sie zum Schweigen zu bringen; jemand, der sein Date oder seine Bekannte vergewaltigt, weigert sich, dem Nein seiner Opfer die Bedeutung zu lassen, die es hat. Dass nämlich der Körper einer Frau unter die Verfügungsgewalt allein dieser Frau fällt.
Frauen, die im Internet so lange drangsaliert und belästigt werden, bis sie schweigen, die ausgeschlossen werden von der Unterhaltung, die kleingemacht, gedemütigt und abgewiesen werden. Die rape culture behauptet, die Aussage einer Frau sei wertlos und unglaubwürdig. All diese Fälle zeugen davon, dass eine Frau keine Rechte und keinen Wert hat und nicht als gleichwertig gilt. Solche Stummstellungen finden in gewaltigem Umfang statt. Eine Stimme zu haben, sie erheben zu dürfen, ist wichtiges Menschenrecht. Zwar geht es bei den Menschenrechten nicht ausschließlich darum, aber es steht in ihrem Zentrum, weswegen man die Geschichte der nicht existenten Frauenrechte als eine Geschichte des Schweigens und des Brechens dieses Schweigens interpretieren kann.
Kommunikation begründet Solidarität
Sprache, Worte und Stimme können Dinge von Grund auf verändern. Immer dann, wenn sie zu Inklusion und Anerkennung führen. Manchmal sind Sprache, Worte und Stimme die Voraussetzungen dafür, Regeln, Gesetze und Regime so zu verändern, dass sie Gerechtigkeit und Freiheit hervorbringen. Immer müssen politische Forderungen formuliert werden, damit sie vermittelbar und verständlich sind. Manchmal sind allein das Sprechenkönnen, Gehörtwerden und Glauben-geschenkt-Bekommen ausschlaggebend dafür, Teil einer Familie, einer Community, einer Gesellschaft zu werden. Immer muss man miteinander kommunizieren, um Solidarität zu erfahren. Manchmal lässt unsere Stimme Gemeinschaftliches auch zerbrechen. Und manchmal, wenn dann Worte das Unsagbare aussprechen, wird das, was vorher von einer Gesellschaft toleriert wurde, manchmal untragbar.
Nicht-davon-Betroffene können die Auswirkungen von Diskriminierung, polizeilicher Brutalität, Repression, häuslicher und sexueller Gewalt oft nicht sehen oder fühlen: Erzählungen jedoch machen das Problem greifbar und unausweichlich. Darum ist es wichtig, dass Frauen sprechen. Vor allem miteinander, über ihre Erfahrungen, über ihr Leben und ihre Wünsche und Forderungen. Diesen Raum brauchen wir, wir müssen ihn uns nehmen.
Das Schweigen durchbrechen
Wer aber wurde nicht gehört? Das Schweigen ist leise, und die Geschichte dahinter und die Gründe dafür, lassen sich nicht erahnen. Männer hatten in den vergangenen Jahrhunderten bei den offiziellen Themen das Sagen: Jene mit Amt, die studiert haben, die Armeen befehligen, Richter und Anwälte, Journalisten und Redakteure, solche die erfolgreichen Bücher schreiben, weiße, alte Männer mit Geld und Einfluss. Im Kampf um die Freiheit ging es immer auch darum, Bedingungen zu schaffen, die denen, die vormals zum Schweigen gebracht wurden, zu Sprache und Gehörtwerden verhelfen. Mit dem Internet gelingt es wenigstens einem Teil der Ungehörten sich Gehör zu verschaffen, zu einem teuren Preis. Sie müssen für ihr Stück vom Kuchen andere zum Schweigen bringen. Oft ist das Gehörtwerden davon abhängig, in welche Richtung sich der Wind der öffentlichen Meinung dreht – schließlich lösen Skandale und Auseinandersetzungen Aufmerksamkeit aus. Emotionen schaffen Bindungen oder Distanz. Manchmal lösen einzelne Geschichten auch Solidarisierungswellen aus, so dass auch andere nach vorne treten und von ihrem Leid erzählen. In jüngster Zeit hat sich daraus ein Prozess entwickelt, bei dem in den sozialen Netzwerken aus dem Nichts kollektive Tribunale eingerichtet und massenhaft weitere Zeugenaussagen getätigt werden sowie Betroffene sich gegenseitig unterstützen.
Reden rettet Frauen das Leben
Ein Mensch, der wertgeschätzt wird, lebt in einer Gesellschaft, in der auch seine Geschichte einen Platz hat. Ob ein Rauswurf Mockridges aus dem Programm von ProSieben und SAT.1 juristisch durchsetzbar ist, sollten Gerichte entscheiden. Im Nachgang. Denn für eine juristische Klärung muss eine irgendwie geartete Konsequenz auch umgesetzt werden. Wenn aber SAT.1 und ProSieben lieber einen weiteren sexistischen Arsch im Programm haben, als Frauen und deren Rechte auch gegen ihn zu verteidigen, sind alle Bekenntnisse gegen sexuelle Gewalt nur Fassade.