Säbelrasseln im Magdeburger Schauspielhaus

…oder wie Geschichte die Kriege von heute rechtfertigen soll

von Lydia Poser

Am 19.03.24 sollte im Schauspielhaus die Lesung „Links, Rechts, Islamistisch: Die drei Gesichter des Antisemitismus“ stattfinden. Der US-amerikanische Historiker Jeffrey Herf wollte seine Essaysammlung „Three Faces of Antisemitism: Right, Left and Islamist“ vorstellen. Nun wurde die Veranstaltung krankheitsbedingt abgesagt. Dennoch sind einige Worte der Aufklärung nötig, um zu verdeutlichen, welche Ziele die Veranstaltenden mit der Einladung des Historikers verfolgten.

In der Veranstaltungsankündigung heißt es:

In Folge des islamistisch-antisemitischen Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober gibt es in der sich progressiv verstehenden globalen Linken viel antisemitische Verharmlosung oder gar Verherrlichung des Terrors; gleichzeitig gewinnen antisemitische rechtsextreme Parteien und islamistische Bewegungen in vielen westlichen Demokratien deutlich an Einfluss.1

Es ist also für die Veranstaltenden eine „antisemitische Verharmlosung“, wenn PalästinenserInnen und ihre UnterstützerInnen von 75 Jahren israelischer Besatzung Palästinas, von der Blockade Gazas, vom völkerrechtlich verbrieften Recht auf Widerstand, von Israels Kriegsverbrechen und vom Völkermord an den Menschen in Gaza sprechen. Denn genau das ist es, was in der politischen und medialen Öffentlichkeit aktuell als Ausdruck von Antisemitismus dargestellt wird.

Herf spricht zwar von den „drei Gesichtern des Antisemitismus“, in seinen Veröffentlichungen und Interviews wird aber klar, dass für ihn arabische/muslimische und linke Menschen die größten Antisemiten sind. Es ist also kein Wunder, dass er in der antideutschen/rechten Zeitung Jungle World gern gesehener Gast ist.

Die Jungle World feierte bisher jeden NATO-Krieg ab und befeuert massiv anti-muslimischen Rassismus. Diese Zeitung ist Stichwortgeber für einen reaktionären Diskurs, der sich in den Bildungs- und Kultureinrichtungen dieses Landes seit Jahrzehnten breit macht.

Geschichtsrevisionismus zur Rechtfertigung imperialistischer Kriege

Das ständige Gerede vom „muslimischen Antisemitismus“ oder gar vom „Islamfaschismus“ seitens der Autoren der Jungle World ist nichts anderes als Geschichtsrevisionismus. Sie verschieben die historische Verantwortung für die Verbrechen des deutschen Faschismus in den den Nahen Osten. Damit liefern sie die Legitimation für noch mehr Waffenlieferungen, noch mehr Angriffskriege und noch mehr rassistische Gesetze.

In einem Interview mit der Jungle World äußerte sich Herf am 15.07.2010 wie folgt:

Eine Implikation dieser jüngsten Forschung ist, dass der von diesen politischen Persönlichkeiten ausgedrückte Antisemitismus den Krieg von 1948 mit verursachte und dafür verantwortlich ist, dass die arabische und islamistische Seite sich stets weigerte, den Kompromiss einer Zwei-Staaten-Lösung zu akzeptieren, wie sie schon in den späten dreißiger Jahren, während des Uno-Teilungsplans 1947 bis 1948, dann 2000 in Camp David und schließlich wieder von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vorgeschlagen wurde.2

Herf leugnet in dieser Aussage die Nakba (arab. Katastrophe), die Vertreibung von 800 000 PalästinenserInnen, indem er sie „Krieg von 1948“ nennt. Hinzu kommt, dass er den PalästinenserInnen selbst die Schuld an ihrer Unterdrückung gibt und diese gewissermaßen damit rechtfertigt, dass sie eine Reaktion auf den angeblichen muslimischen Antisemitismus ist.

Den Antisemitismus westlicher Rechter und Faschisten verharmlost er. Im Interview mit der Jungle World wurde er auch gefragt, ob die Verfolgung der Juden in der muslimischen Welt so schlimm war wie in der christlichen. Dazu sagt er:

Diese Antwort überlasse ich anderen Historikern, die mehr über die Situation der Juden in muslimischen Gesellschaften wissen.

Diese Antwort muss als Holocaust-Relativierung gewertet werden. Denn es entsteht der Eindruck, dass es möglich sei, dass auch Muslime einen Völkermord vom Ausmaß der Shoa an den Juden verübt hätten.

Das Märchen vom linken Antisemitismus

Neben den Muslimen, sind für Herf die Linken die zweitgrößten Antisemiten. Für ihn ist der linke Antisemitismus ein wesentlicher Charakterzug der DDR-Politik und eine Tradition in der westdeutschen Linken.

Herfs Frage, ob die DDR nicht doch eine „antisemitische Diktatur“ war, entzieht sich jeder seriösen Diskussion. Sie relativiert faktisch NS-Verbrechen und setzt damit die verfälschte westdeutsche Geschichtsschreibung über den ostdeutschen Staat fort. Zudem ist es ein Fakt, dass juden- und ausländerfeindliche Einstellungen und Übergriffe in der DDR signifikant geringer waren als in der BRD.

Herf relativiert in seinen Arbeiten nicht nur den Faschismus, er täuscht in seiner Analyse auch über den Charakter des Faschismus hinweg, indem er ihn lediglich durch Antisemitismus definiert.

So verwundert es nicht, dass Herf Reaktionären aller Couleur die passenden Argumente liefert.

So zitierte die AfD-Politikern B. von Storch Herf 2019. Folgendes sagte sie in einer Bundestagsdebatte zum Thema „Bekämpfung des Antisemitismus nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle“:

Daraus [gemeint ist Herfs Buch „Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967–1989“]zitiere ich mit Erlaubnis der Präsidentin einen Satz: Diese Linksextremisten waren die ersten Deutschen seit dem Holocaust, die wehrlose Juden mit der Waffe bedrohten. – Linksextremisten und Rechtsextremisten sind siamesische Zwillinge.3

Seine Ausführungen erlauben es, dass selbst dann, wenn ein antisemitischer Anschlag durch einen Nazi verübt wird, Linke verantwortlich gemacht werden können.

Wer treibt die Geschichtsverfälschung voran?

Organisiert wird die Lesung u.a. vom Institut für demokratische Kultur, das zur Hochschule Magdeburg-Stendal gehört und von Prof. Dr. Matthias Quent und Profin Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya geleitet wird.

Das Institut ist seinem Namen bisher nicht gerecht geworden, denn kein Wort über anti-muslimischen Rassismus oder die Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, womit sich die palästinasolidarische Bewegung in dieser Stadt aktuell konfrontiert sieht, war bisher von dieser Stelle zu hören.

Ganz im Gegenteil: Diesem Institut fiel anlässlich der Ereignisse vom 7. Oktober letzten Jahres nichts besseres ein, als Matthias Küntzel über „muslimischen Antisemitismus“ referieren zu lassen.4 Die Ansichten von Herf und Küntzel zum Antisemitismus sind im Grunde deckungsgleich. Sie zitieren sich gegenseitig und treten gemeinsam auf.

Küntzel arbeitet für das American Enterprise Institute (AEI). Das AEI ist eine neokonservative/neoliberale Denkfabrik. Das Institut beriet bereits die US-Präsidenten Nixon und Reagan, außerdem Obamas Außenministerin Clinton als auch die Regierung Trump. Auch mehrere Minister und Mitglieder der kriegstreiberischen „NeoCon“-Regierung W. Bush gehörten AEI an, darunter Ex-Vizepräsident Dick Cheney und John Bolton, der spätere Sicherheitsberater von Präsident Trump.5 Das AEI gilt als Architekt der militärischen US-Außenpolitik, insbesondere des Irak-Kriegs. In diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg wurden mehr als eine Million Zivilisten ermordet. Das AEI beteiligt sich außerdem an der Leugnung des Klimawandels. Es erhielt knapp 90 Millionen US-Dollar von konservativen Stiftungen, die sich gegen Klimaschutzmaßnahmen einsetzen.

Küntzel reiht sich perfekt in die Riege dieser rassistischen Kriegstreiber ein. So äußerte er sich im September 2001 folgendermaßen:

Selbstverständlich müssen die amerikanische und die britische Politik weiterhin kritisiert werden. Jedoch nicht deshalb, weil sie die Djihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht zielgenau und konsequent verfolgt.6

Außerdem unterstützt Küntzel die Kampagne „Stop the Bomb“, die sogar an Schulen für einen präventiven Krieg gegen Iran wirbt – notfalls auch mit Atomwaffen.7

Veranstaltungen wie diese dürfen nicht unwidersprochen stattfinden: Keine Bühne für Kriegstreiber und rassistische Hetzerin unseren Hochschulen und Kultureinrichtungen!

Leseempfehlung zum Thema: https://www.hintergrund.de/feuilleton/zeitfragen/hitparade-der-daemonologie/

1https://www.theater-magdeburg.de/inszenierungen/sidekicks/sidekicks-2324/links-rechts-islamistisch-die-drei-gesichter-des-antisemitismus/

2https://jungle.world/artikel/2010/28/das-bild-der-dritten-welt-wird-sich-veraendern

3https://wolfwetzel.de/index.php/2020/07/28/rote-judenmoerder-eine-bluetenlese-zu-dem-buch-von-jeffrey-herf-unerklaerte-kriege-die-ddr-und-die-westdeutsche-radikale-linke-von-markus-mohr/

4https://idk-lsa.de/veranstaltungen/, Veranstaltung am 27.11.2023

5https://overton-magazin.de/krass-konkret/philip-wallach-interview/

6https://wolfwetzel.de/index.php/2020/10/14/10070/

7https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/muslime-und-antisemitismus/