Die DGB-Führung ist zu Hause geblieben. Deswegen hat eine Stadtteilinitiative den Protest zum Kampftag der Arbeiterklasse in Leipzig kurzerhand übernommen. Das Netzwerk um den Stadtteilladen „Zweieck“ aus dem Leipziger Osten führte am Ersten Mai mehrere Aktionen und eine zentrale Kundgebung durch.
An acht dezentrale Anlaufpunkten machten die Aktivisten im gesamten Stadtgebiet auf die Kämpfe der Klasse aufmerksam. Die „Lehrkräfte gegen Prekarität“ informierten im Johannapark über die schlechten Honorarverträge in den Bildungseinrichtungen. Gerade in der Corona-Zeit würden keine Honorare gezahlt und die Lehrer in der Erwachsenenbildung müssten als Soloselbstständige von ihren knappen Ersparnissen leben, so eine Aktivistin. Am Bayrischen Bahnhof stellten die Arbeiter aus dem Gesundheitswesen die Bedingungen in den Krankenhäusern vor. Die Fallpauschalen würden den Heilungsprozess der Patienten erschweren und für eine Ökonomisierung sorgen, die auch die Angestellten unter Druck setze. Gerade in der aktuellen Krise sehe man die Probleme des deutschen Gesundheitssystems besonders deutlich, sagte ein Mitglied des beteiligten Leipziger „Gesundheits- und Sozialwesen Stammtischs“.
Um 16 Uhr startete die zentrale Kundgebung mit 150 Teilnehmern auf dem Marktplatz. Neben einer riesigen roten Fahne wurde ein Redebeitrag verlesen. Dem Redner gelang es alle einzelnen Kämpfe vorzustellen und die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Alle würden die Corona-Krise spüren, doch sie werde vor allem auf dem Rücken der Arbeiter und Angestellten ausgetragen. Deswegen sei die Solidarität unter den Werktätigen, Rentnern, Arbeitslosen und Flüchtlingen so wichtig. Denn sie gehörten alle zur selben Klasse. Auf Solidarität der Manager und Konzernchefs hingegen dürfe man nicht setzen, denn sie „werden alles daransetzen, ihre Verluste auf die Gesellschaft abzuwälzen.“ Deshalb sei es wichtig gerade in der Krise Arbeitskämpfe zu führen, denn eine Abwälzung der Wirtschaftskrise auf die Arbeiter müsse entschieden von diesen Zurückgewiesen werden, so der Redner. Die Gewerkschaftsmitglieder aus dem „Zweieck“ forderten in dem Beitrag die DGB-Führung auf, ihre defensive Haltung aufzugeben und die Tarifauseinandersetzungen gerade jetzt aktiv durchzuführen. Damit das geschehe, müssten sich allerdings mehr kämpferische Kollegen in den Betrieben gewerkschaftlich organisieren und so die Gewerkschaften stärker machen, so der Sprecher des „Zweiecks“.
Zum Abschluss der Kundgebung wurden gemeinsam Arbeiterlieder gesungen. Außerdem konnte jeder seine persönlichen Forderungen auf eine Postkarte schreiben und an eine Wäscheleine hängen. Viele Wünsche der Teilnehmer wurden so sichtbar gemacht. Jeder verlangte für sich Verbesserungen in seinem Betrieb und eine Unterstützung in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten. Allen Postkartenschreibern war aber auch bewusst, dass ein ökonomisch sicheres Leben für sie nicht im Kapitalismus möglich ist. Das „Zweieck“ bietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit gemeinsam für eine solidarische Alternative zu kämpfen. Dass das Netzwerk auch während der Corona-Krise ohne DGB-Führung eine kämpferische Maikundgebung organisieren kann, hat es jedenfalls unter Beweis gestellt.