Leiharbeiter verschieben am Flughafen Leipzig/Halle tonnenschwere Ladungen im Minutentakt. Um die Flugzeuge im Expresstempo zu beladen, werden körperliche Schäden der Kollegen von der Geschäftsführung in Kauf genommen.
Von Paul Müller
Die gelbe Halle am Flughafen Leipzig/Halle ist von der B6, der S-Bahn und an diesem sonnigen Sonntagnachmittag im Februar 2022 noch aus Schkeuditz sichtbar. In roten Lettern prangt das Firmenlogo mit den Insignien der drei Firmengründer an der Wellblechfassade: D-H-L. In das Warehouse führen an den Frachtrampen meterhohe Rolltore und öffnen eine eigene Welt. Im Inneren überdeckt das Rattern der Fließbänder, die die Pakete auf die einzelnen Stationen verteilen, sogar den Lärm der Flugzeugtriebwerke. In dem Boden befinden sich Hunderte drehbare Hartplastikrollen, wie von einem Skatebord, das sogenannte Castordeck. Darauf bewegen die Deckzieher wie die Wolgatreidler im fünfzehnten Jahrhundert die tonnenschweren Container, die in den Bereichen „Offload“ entladen oder im „Reload“ beladen werden.
Am Reload Charley zieht der Iraner Samir Ahmadi einen AAX-Container, der mehr als zwei Tonnen wiegt, vom Bereich der Staplerfahrer zum Fließband für die leichteren Sendungen. Er muss ihn auf dem Castordeck drehen. Als er den Container in den vorgesehenen Stand für den Zielflughafen East Midlands, kurz EMA, schiebt, zieht sich sein Brustkorb zusammen. Er geht in die Hocke. Durch die medizinische Atemmaske bekommt er keine Luft, ihm wird Schwarz vor Augen.
Wenig später hört er die Sirenen und sieht das Blaulicht. Er liegt auf dem Boden umringt von Männern in neonorangen Jacken mit weißen Streifen. Es sind die Sanitäter der Betriebsfeuerwehr. Sie legen eine Thermodecke über ihn, mit der silbernen Seite nach unten, die goldene Seite reflektiert das Led-Licht, von der Decke. Samir ist wieder bei Bewusstsein, aber seine Lunge zieht nur wenig Luft, immer wieder wird er von Krämpfen geschüttelt, er droht zu ersticken.
Inzwischen haben sich auch sämtliche Vorgesetzte mit ihren neongelben Jacken um ihn gesammelt. Sie entscheiden mit dem Chef der Feuerwehr den Abtransport. Dafür wird der Verletzte auf eine orange Decke gelegt, an jeder Seite befinden sich Halteschlaufen. Vier kräftige Feuerwehrmänner heben an und Samir schwebt auf dem Weg zum Krankenwagen. Dieser fährt los und die vollen Container können wieder abtransportiert werden. Eine ganze halbe Stunde stand der Betrieb still. Jetzt hat sich alles aufgestaut. Die Kollegen rennen über das Castordeck und ziehen die schweren Frachten aus den Stands, die grellen Signalleuchten hören auf zu brennen.
Der Zeitarbeiter muss die Nacht im Krankenhaus verbringen und darf es erst am nächsten Tag wieder verlassen. Doch seine Leiharbeitsfirma aus Koblenz verhindert die Krankschreibung. Er muss zurück zum Flughafen Frankfurt. Ursprünglich ist er an das Frachtdrehkreuz, dem Hub, bei Leipzig gekommen, um hier innerhalb weniger Monate vergleichsweise viel Geld für seine Familie zu verdienen. Samir arbeitet in Schkeuditz vierzig Stunden in der Woche, fast nur in der Nachtschicht. Dafür bekommt er netto 3000 Euro im Monat. Jetzt ist er zurück in seiner Heimatstadt, vielleicht wurde er auch vollständig entlassen, am Hub erfährt niemand, wie es dem Kollegen jetzt geht.
Verheizt bis zum Tod
So wie ihm ergeht es hier vielen Arbeitern. Der Krankenstand liegt laut Betriebsrat konstant bei 10 bis 15 Prozent. Jeden Tag gibt es neue Coronafälle. Gerome Sanchez, Verdi-Mitglied, vom Reload Delta berichtet, dass in seinem Bereich allein im Dezember drei ältere Mitarbeiter gestorben sind. Manche sollen an einer Covid-Infektion und andere an Herzproblemen, die durch die Arbeit verursacht wurden, umgekommen sein. Diese Information hat weder die Geschäftsleitung noch der Betriebsrat im Unternehmen kommuniziert. Jedoch geht die Nachricht durch den Buschfunk von Station zu Station.
Die große Anzahl von Herzkranken in der Logistik, kann man nicht nur bei DHL beobachten, auch in den Hallen von Amazon tritt dieses Phänomen auf. Die Leute werden dort durch den hohen Zeitdruck verheizt. Erst im Januar ist der Packer Ali in einem Pariser Amazon-Lager während der Schicht an einem Herzinfarkt qualvoll zu Grunde gegangen, so berichten es seine Gewerkschaftsgenossen von der CGT-Betriebsgruppe im Lager auf ihrer Webseite.
Für Gesundheitsexperten steht fest, dass Lärm, Nachtarbeit und das stemmen schwerer Container und Pakete das Risiko einer Herzerkrankung deutlich erhöhen. Eine Studie des Bundesumweltamtes aus dem Jahr 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass Herzkreislauferkrankungen für die Mehrzahl der Krankschreibungen in der Logistikbrache verantwortlich sind.
Auch bei der Mitarbeiterbefragung 2021 geben 57 Prozent der Befragten von Reload Charley an, dass der Konzern sich am Arbeitsplatz nicht für die Gesundheit und Arbeitssicherheit einsetzt. Laut der unternehmensinternen Untersuchung sei diese Meinung der Kollegen im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent gestiegen. In den offiziellen Verlautbarungen gibt das Management an, dass man in diesem Bereich besser werden wolle. Jedoch am direkten Arbeitsplatz ist davon keine Rede mehr. Der Grund für die Herzkrankheiten wird nicht gesucht, man macht weiter bis es nicht mehr geht. Ist es jedoch zu spät, dann haben besonders Leiharbeiter das Problem, überhaupt eine bezahlte Krankschreibung zu erhalten und nicht einfach von DHL abgemeldet zu werden. Für Vorarbeiter Peter Waller sind die Krankheitsfälle der austauschbaren Zeitarbeiter kein Thema. Den Vorfall im Januar kommentiert er lapidar: „Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Samir ist einfach umgefallen.“ Dann geht es herzlos weiter, damit der globale Handelsstrom ungestört fließen kann.
Die Namen und einige Details im DHL Hub Leipzig wurden geändert, um die Anonymität der Kollegen zu schützen.